Bei den Regionalwahlen haben die Sozialdemokraten erneut herbe Niederlagen erlitten. Die Auseinandersetzung lautet damit immer weniger Links gegen Rechts, sondern zusehends England gegen den Rest, allen voran Schottland.
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Mit Hartlepool ist der nächste Ziegel aus der "Roten Mauer" gefallen. Die Rote Mauer, das waren Arbeiterstädte im Norden Englands, in denen die Labour Party so klare Mehrheiten hatte, dass sie einst als uneinnehmbar galten. Doch so wie immer mehr Fabriken und Werften verschwunden sind, sind den Sozialdemokraten die Wähler verloren gegangen. Und nachdem Labour schon bei der Unterhauswahl 2019 dort zahlreiche Mandate verloren hat, ging nun auch der Sitz in Hartlepool bei einer Nachwahl an die konservativen Tories von Premier Boris Johnson.
Die Krise der Arbeiterpartei setzte sich bei den Regionalwahlen am Wochenende fort: Auch wenn Labour in London mit Sadiq Khan und in der Region Manchester mit Andy Burnham zwei wichtige Bürgermeisterposten behaupten konnte, sind sonst bei den Gemeinde- und Bezirksräten zahlreiche rote Flecken blau geworden. England, der größte der vier Landesteile Großbritanniens, ist nun konservativ regiert wie schon lange nicht. Etwa 200 Sitze haben die Tories übernommen, viele davon von Labour.
Damit ist Labour-Chef Keir Starmer, der das Amt erst vor einem Jahr von Jeremy Corbyn übernommen hatte, gewaltig unter Druck. Und er macht, was Parteivorsitzende in so einer Lage gerne machen: Er verspricht eine Neuaufstellung der Gruppierung und nimmt Personalveränderungen vor. Einige Führungskräfte in seinem Schattenkabinett wurden degradiert, und dabei hat sich der angeschlagene Starmer gleich neue Feinde gemacht.
So wollte der 58-jährige Londoner Anwalt seiner Stellvertreterin Angela Rayner, die für die Wahlstrategie zuständig war, ihr zweites Amt als "Party Chair" nehmen. Das trieb vor allem die parteiintern noch immer starke Corbyn-Fraktion auf die Barrikaden. Nun wurde Rayner "First Secretary of State" und bleibt damit sehr einflussreich.
Der Streit zeigt eines der Hauptprobleme von Labour auf: Die Partei ist keine Einheit. Stattdessen brechen immer wieder Lagerkämpfe aus, und die Wähler wissen nicht, wofür diese Gruppierung steht, die auch keinen Ausweg aus dem Dilemma findet, wie sie ihre unterschiedlichen Wählerschichten bedienen soll: Das linksliberale urbane Milieu und die Arbeiterschaft aus den einstigen Industriehochburgen haben oft völlig konträre Ansichten, was sich nicht zuletzt beim Brexit zeigte, der gerade unter Arbeitern viele Befürworter fand.
SNP siegt in Schottland
Die Schwäche von Labour hat eine weitreichende Konsequenz für die britische Politik: Die Auseinandersetzung lautet nun immer weniger Rechts gegen Links, sondern spielt sich zusehends entlang regionaler Trennlinien ab, wobei England immer stärker gegen den Rest der Union steht.
Der dabei für die Einheit Großbritanniens bedrohlichste Konflikt ist der in Schottland. Regierungschefin Nicola Sturgeon hat dort die Wahl zu einer Abstimmung über ein neues Unabhängigkeitsreferendum gemacht - und ihre Schottische Nationalpartei (SNP) hat mit 64 von 129 Sitzen im Regionaparlament ihre Mehrheit bestätigt bekommen.
Allerdings hat die SNP nur ein Mandat dazugewonnen, und ein Unabhängigkeitsreferendum wäre noch immer eine knappe Angelegenheit. Sturgeon trat nach der Wahl auf die Bremse und meinte, dass zunächst der Kampf gegen die Corona-Pandemie gewonnen werden müsse. Sie will offenbar die Wähler in einer derartigen Krise nicht mit einem erneuten Referendum überfordern und erst dann zuschlagen, wenn alle Kräfte für die Unabhängigkeit mobilisiert werden können. Abgesehen davon braucht es für ein Referendum auch jede Menge rechtlicher und politischer Schritte, die Zeit kosten und bei denen die Regierung in London ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hat.
Laut der Politologin Melanie Sully spielt aber auch Johnson auf Zeit. Die Expertin meinte gegenüber der APA, dass der Premier zeigen wolle, "dass das Vereinigte Königreich außerhalb der EU erfolgreich ist, dass er sich des Erfolgs bei den Corona-Impfungen rühmen kann" - und dass er seine "konservative Vision" für das Land umsetzen könne, von der seinen Aussagen nach ebenso Schottland profitieren solle.
Auch in Nordirland gibt es vor allem unter den Katholiken Abspaltungsgelüste - allerdings wurde dort nicht gewählt. In Wales wiederum schlugen sich die in Umfragen stärker werdenden Unabhängigkeitstendenzen nicht beim Urnengang nieder. Dafür stimmten die Waliser gegen den Landestrend und in großer Zahl für Labour. Nun verlangt auch der dortige Regierungschef Mark Drakeford mehr Zugeständnisse an die Landesregierung.
Johnson umgarnt Sturgeon
Johnson startete nun gleich eine Charmeoffensive und hat die Regierungschefs Sturgeon und Drakeford zu einem Spitzentreffen eingeladen. Das "Team Vereinigtes Königreich", schwärmte der Premier bereits im Vorfeld, habe gemeinsam die Corona-Pandemie gemeistert.
Gleichzeitig droht dem Regierungschef neues Ungemach. Die parlamentarische Kommissarin für die Einhaltung von Standards prüfe, ob Johnson die wohl von Spendern übernommenen Kosten einer privaten Reise korrekt offengelegt habe, berichtete die BBC am Montag.
Schon in den Tagen vor der Wahl war darüber berichtet worden, dass Johnson Parteispenden für die Renovierung seiner Dienstwohnung in der Londoner Downing Street missbraucht haben könnte. Geschadet hat das ihm und der Gruppierung vor allem in England nicht. Dort wollen die Tories nun dem Norden mehr Geld zuschießen. Die von Labour geholten Stimmen will sich Johnson nämlich behalten. (klh)