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Ungeliebte Parteispitze, Glaubwürdigkeitsprobleme, Antisemitismusvorwürfe: Die britische Arbeiterpartei befindet sich in gefährlichen Turbulenzen.
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London. Großbritanniens "Super Thursday" hat der oppositionellen Labour Party einen bittereren Streit um den künftigen Kurs und um die Parteiführung beschert - und das schon vor der Auszählung der Stimmen. In Erwartung enttäuschender Ergebnisse bei den englischen Kommunalwahlen sowie den Parlamentswahlen in Schottland und Wales werden in der britischen Arbeiterpartei erneut Pläne zur Absetzung des Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn geschmiedet.
Der mächtigste Gewerkschaftsführer im Land, Len McCluskey von der Gewerkschaft Unite, hat prominenten Labour-Leuten bereits "Verrat" an Corbyn vorgeworfen. Corbyn genießt das Vertrauen der linksorientierten Parteibasis und einzelner Gewerkschaften, nicht aber jenes der Fraktion, die ihn gern ersetzen würde. Scharf kritisiert wurde Corbyn diese Woche auch von Sadiq Khan, dem Labour-Kandidaten für das Amt des Londoner Bürgermeisters bei den Wahlen am Donnerstag. Khan erklärte, er sei "denkbar unglücklich" über Corbyn. Die Parteispitze müsse sich "endlich am Riemen reißen", um Labour zum Erfolg zu führen.
Der Donnerstag brachte den ersten großen Wahltest in Großbritannien seit den Unterhauswahlen im Vorjahr, die die Konservativen für sich entschieden hatten. Neugewählt wurden nun Stadt-, Land- und Kreisräte in weiten Teilen Englands, die Parlamente von Schottland, Wales und Nordirland sowie eine Reihe von Großstadt-Bürgermeistern, darunter auch jener von London.
Unter normalen Umständen würden solche Wahlen der Opposition eine gute Gelegenheit bieten, ihre Basis zu verbreitern - zumal die regierenden Torys in der Brexit-Frage zutiefst gespalten ist. "Bei den Konservativen herrscht Chaos wegen Europa, aber auch wegen der Zerstörung des Gesundheits- und des Schulwesens", meint Labours früherer Bildungsminister Ben Bradshaw. "Im Grunde müssten wir um 20 Prozent vor ihnen liegen."
Die geringe Popularität Corbyns aber und anhaltende Glaubwürdigkeitsprobleme Labours in Schottland lassen viele Labour-Leute befürchten, dass ihre Partei eher noch an Einfluss verlieren als neue Wähler dazugewinnen wird. In Schottland könnte Labour sogar noch hinter die Konservativen zurück fallen. Ihre langjährige dortige Führungsrolle hat die Partei schon vor Jahren an die Schottischen Nationalpartei (SNP) abgetreten.
London-Ergebnis Freitagabend
Mit größter Nervosität werden bei Labour die Ergebnisse für London erwartet, die am frühen Freitagabend vorliegen sollen. Sadiq Khan, Labours Bürgermeister-Kandidat, war lange Zeit klarer Favorit für dieses Amt. Er ist aber in den vergangenen Wochen von konservativer Seite hartnäckig als "radikaler Moslem" abgestempelt und zuletzt sogar von seinem eigenen Parteigenossen Ken Livingstone, einem früheren London-Mayor, in Schwierigkeiten gebracht worden. Livingstone verstärkte mit heiß umstrittenen Äußerungen den Eindruck, dass in der Labour Party antisemitische Tendenzen herrschen würden und Corbyn diese allzu lange ignoriert habe.
Mittlerweile ist Livingstone gleichzeitig mit sieben anderen Labour-Mitgliedern suspendiert worden. Umfragen des "Jewish Chronicle" zufolge ist der Anteil britischer Juden, die weiterhin Labour wählen wollen, inzwischen aber schon dramatisch gesunken - auf nur noch 8,5 Prozent.