Zum Hauptinhalt springen

"Labour und Tories fehlen die Ideen"

Von Alexander U. Mathé aus London

Europaarchiv
Valentino Larcinese, Politologe an der London School of Economics. Foto: Mathé

Konservative können von Schwäche Gordon Browns nicht profitieren. | Unterstützung für zwei Großparteien nimmt allgemein ab. | "Wiener Zeitung": Fast keine Zeitung unterstützt den britischen Labour-Chef und Premierminister Gordon Brown. Wie beeinflusst das die Wahl? | Valentino Larcinese: Vor allem die Unterstützung der Zeitung "The Guardian" für die Liberaldemokraten war überraschend. Steht sie doch historisch der Labour-Partei nahe.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Unterstützung durch Zeitungen am Ende wirklich so wichtig ist. Die Leser einer bestimmten Zeitung haben ja bereits eine bestimmte politische Ausrichtung, die sich mit der Blattlinie deckt. "Guardian"-Leser sind links-progressiv, "Daily Telegraph"- und "Times"-Leser konservativ. Ich glaube, dass diese Unterstützungen einen kleinen, aber keinen großen Einfluss haben.

Und wie sieht es mit dem Fernsehen aus?

Das hat man gleich nach der ersten TV-Debatte sehen können. Nick Clegg hatte seinen Aufschwung in den Umfragen eben wegen dieser Konfrontation. Er hat sich zwar gut geschlagen, aber viele Menschen haben vorher nicht einmal gewusst, dass es ihn gibt. Eines muss man aber auch sagen: In dem Moment, in dem man eine TV-Konfrontation mit drei Kandidaten veranstaltet, anerkennt man implizit, dass das ein Drei-Parteien-System ist.

Genau das stört ja manch einen. Wie stehen die Chancen, dass England sein Wahlsystem ändern wird? Die Liberaldemokraten werden ja alles daran setzen, in Richtung Verhältniswahlrecht zu gehen.

Wegen des Mehrheitswahlrechts haben viele Parteien nur sehr geringe Erfolgschancen. Labour profitiert vom Status quo, sie könnte eine Parlamentsmehrheit mit nur 30 Prozent der Stimmen erhalten. Letztes Mal hat die Partei eine sichere Arbeitsmehrheit von mehr als 40 Sitzen mit nur 36 Prozent der Stimmen bekommen, während die Konservativen mit 33 Prozent das Nachsehen hatten. LibDem hat hier ein klares Interesse, das System zu ändern. Ich denke aber nicht, dass die Öffentlichkeit einen Schwenk zu einem reinen Verhältniswahlrecht unterstützen würde.

Was schreckt sie ab?

Das Verhältniswahlrecht würde eine völlig andere Organisation bedingen. Das würde mehr Parteien bedeuten. In Westminister würden viele neue Parteien Einzug halten, wie zum Beispiel die Grünen. Die British National Party würde auch Sitze bekommen. Manch einer hält das für ein faireres Abbild des Wählerwillens. Was die Leute befürchten, ist, dass das zu einem Durcheinander führen könnte. Man bräuchte immer Verhandlungen für eine Regierungsbildung, während zurzeit die Verhältnisse relativ klar sind. Normalerweise ist es eine Partei, die vom Tag nach den Wahlen an regiert.

Alles bleibt also beim Alten?

Was passieren könnte, ist, dass man sich auf eine Art Mittelding einigt. Was LibDem im Austausch für die Unterstützung einer Regierung realistischerweise versuchen könnte auszuhandeln, ist, die Wahlkreise zu vergrößern. Im derzeitigen System gibt es einen Abgeordneten pro Wahlkreis. Man könnte Wahlbezirke mit zwei bis sechs Abgeordneten schaffen. Das wäre dann aber noch kein Verhältniswahlrecht, weil die Proportionalität ja lediglich auf Wahlkreisebene herrscht.

P remier Brown kämpft offenbar mit seinem Image. Was ist sein Problem?

Mich hat in diesem Zusammenhang die "Guardian"-Umfrage nach der dritten Fernsehdebatte überrascht. Da hat es mehrere Fragen gegeben. Zum Beispiel: "Wer, glauben Sie, war der Kompetenteste der drei?" Da kam Gordon Brown an erster Stelle. "Wem würden Sie in eine Krise am meisten vertrauen?", war eine weitere Frage. Und auch da war Brown an der Spitze. Dann die Frage: "Wer, glauben Sie, hat die Debatte gewonnen?" Da war Brown an letzter Stelle. Es ist nicht klar, was da los ist. Es ist für eine Regierung immer schwer, einen Wahlkampf während einer Wirtschaftskrise zu führen, sie wird immer als schuldig dastehen. Der Vorwurf lautet, nicht genug getan zu haben, auch wenn man Brown nicht die Schuld für das heutige Defizit anhängen kann. In Sachen Bankenintervention hat er sogar als vorbildhaft gegolten. Ein weiteres Problem ist, dass Brown aus 13 Jahren Labour-Regierung kommt. Man sieht eine Partei nicht gerne lange an der Macht.

Und was macht Tory-Chef David Cameron richtig, was ist das Geheimnis seines Erfolges?

Wenn eine Partei Probleme hat, dann die konservative. Wir befinden uns mitten in einer Rezession und Gordon Brown hat viele Gegner in der eigenen Partei. Da würde man doch erwarten, dass diese Wahl für die Konservativen ein Spaziergang sein sollte. Die Prognosen geben Cameron aber nur 35 Prozent der Stimmen. Vor vier Jahren haben die Tories Wahlen mit 33 Prozent verloren, und das mit Michael Howard an der Spitze, einem weniger charismatischen Politiker als Cameron.

Was sind die Ursachen für dieses Phänomen?

Einer der Gründe dafür sind sicher die Liberaldemokraten, die beim Wunsch nach Veränderung mehr Zulauf finden. Ich sehe da grundsätzlich nicht viel Neues. Nicht bei der konservativen Partei, auch nicht bei Gordon Brown, der keine großen Visionen in den Debatten präsentiert hat. Was bei den Debatten herausgekommen ist, ist, dass die Regierung zu groß ist und die Ausgaben im öffentlichen Sektor gekürzt werden müssen. Sucht man den großen sozialen Plan dahinter, sehe ich nichts Starkes - noch, vielleicht ändert sich das.

Wo kann Cameron doch noch wichtige Stimmen holen?

Das ist bei der letzten Debatte offensichtlich geworden, als er auf das Europa-Thema gepocht hat. Er hat erklärt, wie schlecht es den Griechen geht und dem Euro, und dass das Vereinigte Königreich Länge mal Breite zahlen müsste, wenn es in der Eurozone dabei wäre. Der Appell an den Euroskeptizismus scheint mir das letzte Register zu sein, um noch ein paar Stimmen zu gewinnen. Da sind sich die meisten Wähler einig. Wenn man sich die Umfragen ansieht, sind sie bei vielen Themen gespalten, aber wenn man fragt: "Sollen wir den Euro einführen?", werden 70 Prozent der Briten nein sagen.

Wie schaffen es die Liberaldemokraten, den Konservativen Stimmen wegzunehmen?

Wenn Sie konservativ sind und für LibDem stimmen, gehören Sie wahrscheinlich nicht zu den EU-Kritikern. Gleichzeitig haben die Liberaldemokraten Vorschläge bei Kürzungen, die irgendwie nahe den konservativen Vorschlägen sind. Auf ökonomischer Ebene ist LibDem irgendwo zwischen den Konservativen und Labour. Auch das kann enttäuschte konservative Wähler anziehen. Ich denke nicht, dass viele Konservative wirklich LibDem wählen.

Woher rekrutieren die Liberalen dann ihre Wähler?

LibDem ist in einigen Aspekten weiter links angesiedelt als Labour, wenn es zum Beispiel um nukleare Abrüstung geht. Ich glaube, dass LibDem ihre meisten Stimmen von Labour und den Nichtwählern beziehen. Die beiden Großparteien sind geschrumpft, sie stellen zusammen zwei Drittel der Wählerschaft, bei sinkender Wahlbeteiligung. Die lag zuletzt bei 60 Prozent. Das heißt, gerade einmal 40 Prozent der Bevölkerung unterstützt sie. Unter den verbleibenden 60 Prozent finden sich viele, die mit dem System nicht zufrieden sind und sich mit keiner der Parteien identifizieren können. Die neuen Wähler werden hauptsächlich LibDem wählen. Viele wollen das Wahlsystem ändern. Jede Stimme für die Liberaldemokraten ist eine Stimme für einen Systemwechsel. Das ist wichtig für Kleinparteien, die ein Verhältniswahlrecht wollen. Nehmen Sie an, ich wäre ein Grüner und Sie fragen mich: "Wen soll ich heute wählen?" Die Antwort wäre nicht Grün, sondern LibDem, wenn der Kandidat Chancen hat, ins Parlament einzuziehen. Genauso verhält es sich auch bei der British National Party. Denn wenn ich es schaffe, dass eine Art Verhältniswahlrecht eingeführt wird, stehen meine Chancen bei der nächsten Wahl besser.

Zur Person

Dr. Valentino Larcinese unterrichtet Politikwissenschaft an der London School of Economics and Political Science. Er ist Spezialist für Britische Wahlen, Wählerverhalten und den Einfluss von Massenmedien.