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Lahm, blind und taub

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Es war ein seltenes Zeugnis entwaffnender Offenheit, als kürzlich ein hoher EU-Diplomat bekannte: "Wir haben keine wirkliche Russland-Strategie." Touché, Widerspruch zwecklos. Wenn man ehrlich ist, kann die Union in keiner relevanten außen- und verteidigungspolitischen Frage eine gemeinsame Strategie vorweisen.

Das ist die traurige Realität, die Beratungen der europäischen Staats- und Regierungschefs über eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Brüssel sind dagegen bloßer Schein. Dabei ist richtig, dass in diesem Bereich bis zu dreistellige Milliardensummen durch Sharing & Pooling, also die Bündelung und gemeinsame Nutzung von Ressourcen, lukriert werden könnten.

Anhänger der Milchmädchen-Fraktion bekommen da natürlich große Augen und stellen sich vor, wie viele Sozialprojekte Europa mit diesen Geldern doch finanzieren könnte. Nüchternere Köpfe sehen Sharing & Pooling als einzige Möglichkeit, Mittel für dringend notwendige Investitionen für den militärischen Sicherheitsapparat aufzutreiben. Bildlich gesprochen sind europäische Soldaten ohne Hilfe der USA blind, lahm und taub, weil sie allenfalls über höchst mangelhafte Aufklärungstechnologie und Transportkapazitäten verfügen.

All das wissen natürlich auch die in Brüssel versammelten Staats- und Regierungschefs. Und natürlich wären ihnen zusätzliche Milliarden zur freien Disposition höchst willkommen. Nur verfügen die 28 Staaten der EU leider, leider wieder einmal über keine gemeinsame Strategie. Deshalb lehnt der britische Premier den Aufbau einer handlungsfähigen EU-Armee ab, weil dies die nationale Handlungsfähigkeit in Sicherheitsfragen gefährde; deshalb pocht der französische Staatspräsident auf europäische Zuzahlungen für französische Militäreinsätze in Afrika (die, zugegeben, im Interesse der Union erfolgen); und aus demselben Grund fordert der Nato-Generalsekretär gleich überhaupt höhere Verteidigungsbudgets in Europa.

An forschen Appellen fehlt es also nicht. Die Habenseite wird eher mager ausfallen. Nichts illustriert den erbarmungswürdigen Zustand der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik besser als das Schicksal der Battle-Groups: Seit 2005 stehen diese Gewehr bei Fuß, ein Marschbefehl erfolgte bis dato noch nie. Was fehlte, war eine gemeinsame Strategie.