Das Psychotherapiegesetz als Hemmschuh: Was etwa Ärzten oder sogar Journalisten - sowie überhaupt jedem Laien - völlig offen steht, ist den Experten in diesem Bereich verwehrt, nämlich ihre Beratungstätigkeit auch im Internet auszuüben. Also just dort, wo sich der niederschwelligste Einstieg für Hilfesuchende findet, die, aus welchen Gründen auch immer, Probleme mit dem Weg zum Therapeuten, zur Therapeutin haben. Unter den gegebenen Umständen können sie zwar jedem Scharlatan, jedem "Guru" und irgendeinem Esoterikschmarren aufsitzen, aber professionellen Beistand gibt es nicht.
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Es ist grotesk: Wer sich heute im Internet klug macht, stößt im psycho-sozialmedizinischen Bereich auf eine Vielzahl von Selbsthilfe-Foren, aber auch moderierten Sites sowie häufig auf Links jeder erdenklichen Art. Das ist per se alles andere als schlecht, wenn man bedenkt, wie viele tausende Suizidgefährdete etwa vor allem durch Selbsthilfe-Foren gerettet werden konnten. Oder in wie vielen Fällen Menschen in ihrem Kampf gegen Essstörungen und dergleichen von anderen positiv unterstützt wurden. Da Studien dazu bis dato auf Grund der gegebenen Schwierigkeiten rar sind, lässt sich dies nur hochrechnen.
Nichts also gegen diese Hilfe aus dem Web, aber: "Wünschenswert wären doch vielmehr professionale Pages von akademisch ausgebildeten Fachleuten, die über eine Zusatzausbildung für Beratung verfügen, aber auch nachweisen können, dass sie im Bereich Neue Medien kompetent sind", so der Wiener Experte Dr. Gerald Kral, der ein entsprechendes Projekt des Berufsverbandes Österreichischer Psychologinnen und Psychologen (BÖP) leitet - das indessen bisher am Gesetz scheitert.
Denn während buchstäblich jedermann über die Freiheit verfügt, nicht nur in den neuen Medien Lebensberatung anzubieten und auszuüben, legt das Psychotherapiegesetz wesentlich schärfere Maßstäbe an.
"Der Psychotherapeut hat seinen Beruf persönlich und unmittelbar...auszuüben." Diese Bestimmung des Paragraphen 14 (2), in dem die "Berufspflichten des Psychotherapeuten" festgelegt sind, konterkariert effektvoll jegliche Bemühung, die technische Entwicklung zur Hilfeleistung für Betroffene zu nützen.
Kral, Klinischer Psychologe, Psychotherapeut und Experte für Neue Medien, hat mehr als ein Jahr Arbeit in dieses Projekt gesteckt, nur um schließlich feststellen zu müssen, dass an dieser Bestimmung kein Weg vorbeiführt. Fazit: Sie ist in Zeiten des Internet obsolet und müsste daher raschest entsprechend geändert werden. Dazu bedürfte es wohl einer möglichst großen Lobby, doch über die verfügt Kral nicht, ist es doch ein offenes Geheimnis, dass sich auch etliche seiner Kollegen nicht recht mit der Technik anfreunden können.
Barrieren für Betroffene
Den Nachteil haben vor allem Menschen, die unter erheblichen psychischen Problemen leiden, aber bezüglich deren Behandlung vor Barrieren stehen. Die Gründe dafür sindleicht erklärt: Wer nur gelegentlich unter einem Stimmungstief oder einer vorübergehenden Störung leidet, kann sich im Chat darüber mit anderen "austauschen". Anders ist dies bei behandlungsbedürftigen Erkrankungen, die nur von Fachleuten erkannt werden können. "Hier könnten professionelle Pages die Berührungsängste reduzieren, deretwegen zahlreiche Betroffene keine entsprechende Behandlung in Anspruch nehmen", so Kral.
Natürlich denkt niemand daran, das persönliche Gespräch durch Chats oder E-Mails zu ersetzen, auch wenn dieser Weg etwa in den USA zunehmend eingeschlagen wird. Vielmehr wollen Fachleute wie Kral die Technik insbesondere für Erstberatungen und zur Anbahnung der "Face-to-Face-Therapie" nützen, auf die psychologische Interaktionen traditionell fokussiert sind.
Andererseits sollte auch einmal über die vielen Gründe nachgedacht werden, die zur evidenten chronischen Unterversorgung zigtausender psychisch kranker ÖsterreicherInnen führen. Wer etwa auch körperlich behindert ist, tut sich´s noch viel schwerer, entsprechende Hilfe zu suchen. Das gilt ebenso für alle Menschen, die außerhalb urbaner Bereiche leben und lange Anfahrtszeiten in Kauf nehmen müssten. - Das sollten denn doch genügend einleuchtende Beispiele sein, um zur Einsicht zu kommen, dass die Therapie per Internet allemal besser ist als gar keine.
Und noch ein schlagendes Argument spricht dafür: Therapeuten wie Klienten können sich darauf verständigen, dann zu kommunizieren, wenn dies notwendig ist - also etwa bei nächtlich auftretenden Krisen sowie generell zu "unorthodoxen" Zeiten. Ausbrüche von (Auto-)Aggressionen, um nur ein Beispiel zu nennen, halten sich nämlich nicht an reguläre Termine, ließen sich aber durch das "Gespräch" per E-Mail ziemlich gut in den Griff bekommen.
Unterlassene Hilfeleistung
Das Psychotherapiegesetz bedarf also dringend der entsprechenden Korrektur, denn Gefahr ist allenthalben in Verzug. Und Nicht-Handeln beim gegebenen Wissen könnte - überspitzt ausgedrückt - zur unterlassenen Hilfeleistung werden: Zwar kaum nach dem Strafrecht, aber sicher nach den Gesetzen der Ethik.