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Land der Pfuscher

Von Marina Delcheva

Politik

Eine Milliarde Steuerentlastung durch Betrugsbekämpfung? Experten sind skeptisch.


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Wien. "Wenn ich alle meine Steuern zahle, muss ich zusperren", sagt eine Wirtin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Sie betreibt ein kleines Beisl in Wien. Das Auto ohne Rechnung richten, für ein paar Euro dem Nachbarn beim Ausmalen helfen - in Österreich gehören ein paar Steuertricks hier und da zum guten Ton. 66 Prozent der Österreicher denken, dass "Pfusch" gerechtfertigt ist, weil man sich sonst vieles nicht leisten kann. Das zeigt eine Studie des Volkswirtes Friedrich Schneider von der Uni Linz. Und: Die Hälfte der Befragten meint, dass der Staat selbst schuld ist, dass es so viele "Pfuscher" gibt, weil die Abgaben zu hoch sind.

Wie viel nicht versteuertes oder illegal erwirtschaftetes Geld hierzulande im Umlauf ist, ist nur schwer zu berechnen. Die EU-Kommission geht von einer Steuerlücke von 3,2 Milliarden Euro aus, also zwölf Prozent des Steueraufkommens. Schneider beziffert das Volumen der Schattenwirtschaft, ausgehend vom Bargeldeinsatz, mit sechs Milliarden Euro. Das sind 7,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Jetzt wollen SPÖ und ÖVP durch "schärfere Maßnahmen" das Geld aus der Schattenwirtschaft holen und damit einen Teil der Steuerreform finanzieren. Eine Milliarde Euro zusätzlich, darüber sind sich die Regierungsparteien in ihren Steuermodellen einig, seien durch Betrugsbekämpfung zu holen - jährlich. Je nach Steuermodell ist das ein Fünftel (ÖVP) beziehungsweise ein Sechstel (SPÖ) des Finanzierungsvolumens.

"Zahl zu hoch gegriffen"

"Entweder deutet der Vorschlag auf eine bisher ineffiziente Steuerverwaltung hin, oder die Zahl ist zu hoch gegriffen", sagt Franz Schellhorn vom ökonomischen Thinktank Agenda Austria. Österreichs Finanzverwaltung gehöre zu den effizientesten Europas und leiste auch bisher gute Arbeit.

Auch Volkswirt Schneider zweifelt am Volumen. "Wenn ich Finanzminister wäre, würde ich 500 Millionen planen", sagt er zur "Wiener Zeitung". "Die eine Milliarde ist durchaus realistisch", heißt es auf Anfrage aus dem Finanzministerium. Das hätten interne Berechnungen ergeben, die nicht im Detail erklärt werden. Außerdem stellt sich die Frage, warum es eine Steuerreform braucht, um den Steuerbetrug einzudämmen und warum das bisher nicht geschehen ist?

Ein Blick in den Geschäftsbericht der österreichischen Zoll- und Steuerfahndung zeigt: 2013 hat die Steuerfahndung durch Prüfungen und Zwangsmaßnahmen 27,54 Millionen Euro eingenommen. Die Gebietskrankenkassen haben durch eigene Prüfungen und Kontrollen der Finanzbehörden 2013 nachträglich 230 Millionen Euro an Sozialversicherungsbeiträgen eingenommen. Rechnet man die nachträglichen Einnahmen von Steuern hinzu, kommt auf 400 Millionen Euro, erklärt Johann Mersits von der Wiener Gebietskranenkasse. 2014 wurden 150 Millionen Euro an Mehreinnahmen durch Selbstanzeigen wegen Steuerhinterziehung erwartet.

Registrierkassa und Kontrollen

Um die Einnahmen aus der Schattenwirtschaft zu erhöhen, schlägt die SPÖ etwa eine Belegpflicht mit ergänzender Beleglotterie, elektronische Geld-Nachverfolgungssysteme und eine Registrierkassenpflicht für alle Betriebe vor. Letztere soll durch die digitale Erfassung von Umsätzen gemeinsam mit der Belegpflicht Steuermissbrauch eindämmen.

Die ÖVP hat im Vorfeld keine konkreten Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung genannt. Diese müssten erst ausverhandelt werden, heißt es auf Anfrage. Fix ist aber, dass die Finanzverwaltung um 500 Personen aufgestockt wird.

Schneider rechnet damit, dass jährlich 800 Millionen an Mehrwertsteuern hinterzogen werden. Durch die Regeistrierkassenpflicht erhofft sich die SPÖ zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Euro zusätzlich. Seitens der Gastronomie kommt jedoch starker Widerstand. "Das schaue ich mir an, wie die plötzlich eine Milliarde holen wollen", poltert Willy Turecek, Obmann der Fachgruppe Gastronomie in der Wirtschaftskammer. Für Betriebe ab einem Jahresumsatz von 150.000 Euro gebe es ohnehin eine Registrierungspflicht. Und für kleinere Betriebe - weniger als 150.000 Jahresumsatz - wäre die Anschaffung dieser Kassen und die Verwaltung eine unverhältnismäßige Mehrbelastung.

Generell gilt, dass wenn die Abgabenquote sinkt, auch die Bereitschaft zur Steuerhinternziehung sinkt, so Schneider. Österreich brauche aber eine stärkere Steuermoral. Schneider schlägt zudem Steuerbefreiungen für kleine Zusatzeinkommen vor. Außerdem sollten, die vorgeschlagenen Maßnahmen in kleineren Pilotprojekten getestet werden, um "besser einschätzen zu können, was tatsächlich zu holen ist".