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"Land wie Syrien kann unentdeckt Atomreaktoren bauen"

Von Alexander Mathé

Politik

Experte Fitzpatrick im WZ-Gespräch. | "Wiener Zeitung": Unter Diplomaten der IAEO macht sich Sorge über ein syrisches Atomprogramm breit. Wie schätzen Sie die Situation ein?


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Mark Fitzpatrick: Ganz offensichtlich ist das, was da 2007 von Israel in Syrien zerstört worden ist, eine Atomanlage gewesen. Die IAEO hat Syrien wiederholt dazu aufgefordert, ihr einen erweiterten Zugang zu der Stätte zu gewähren, und stets eine Abfuhr erhalten. Es ist an der Zeit, eine "special inspection" zu fordern, die den Antrag juristisch verbindlich machen würde. Das wäre eine wichtige Anwendung der legitimen Macht der IAEO. Bisher hat sie darauf verzichtet, im Glauben, Syrien ohne Zwang zu Kooperation bewegen zu können. Aber ich sehe kein Anzeichen dafür, dass Syrien gewillt wäre zu kooperieren.

Diese Spezialinspektion ist bisher aber fast nie eingesetzt worden.

Ja, zuletzt war es in Nordkorea und davor in Rumänien der Fall.

Warum glauben Sie, dass die IAEO bisher gegenüber Syrien noch nicht zu dieser Maßnahme gegriffen hat?

Weil sie die Spezialinspektion als Maßnahme betrachtet, die nur in extremen und außergewöhnlichen Fällen angewandt werden sollte. Das heißt, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Beweise für atomare Aktivitäten gefunden würden. Die Sonderuntersuchung sollte aber nicht so selten eingesetzt werden. Sie sollte eine normale Maßnahme der IAEO sein und auch dann angewandt werden, wenn man sich nicht sicher ist, etwas zu enthüllen.

Wie stehen denn die Chancen, jetzt noch etwas in der Anlage bei Dair Alzour zu finden?

Ich glaube, dass die IAEO etwas enthüllen würde. Sie hat ja dort in Al Kibar bereits den Beweis für nukleare Aktivitäten gefunden. Aber aus verschiedenen Gründen haben die Mitglieder des Gouverneurrats der IAEO bisher auf die Sonderuntersuchung verzichtet.

Was glauben Sie: Warum?

Da wären beispielsweise politische Gründe. Man will Syrien nicht unter Druck setzen, solange andere Themen anliegen, die für manche wichtiger sind. Ich denke da speziell an Israel, das mit Syrien immer wieder Verhandlungen über einen Friedensvertrag führt und über die Rückgabe der Golanhöhen. Daher möchte Israel im Moment nicht das Wasser trüben, indem es Syrien mit der Atomfrage in die Ecke drängt. Die USA werden Israel in diesem Fall wahrscheinlich folgen. Andere Parteien in der IAEO wollen die Spezialinspektion nicht durchführen, weil sie nicht Maßnahmen setzen wollen, die einen politischen Zwischenfall mit Syrien heraufbeschwören würden.

Tut man also gut daran, noch ein wenig abzuwarten?

Nein, die IAEO sollte in ihrem eigenen Interesse diese politischen Überlegungen beiseite lassen und durch die Sonderuntersuchungen ihren technischen Zweck unterstreichen.

Angenommen, das, was da 2007 von Israel zerstört worden ist, war wirklich ein Atomreaktor: Wie schwer wäre es für Syrien einen neuen zu bauen? Schließlich geht man ja davon aus, dass Nordkorea den Bau der Anlage besorgt hat.

Es wäre schwer für Syrien die Anlage zu replizieren. Da es ja bereits dabei erwischt worden ist, sind die Augen der Welt darauf gerichtet. Die Geheimdienste werden ihre Aufmerksamkeit gezielt auf die Netze richten, die dazu gedient haben, den Reaktor zu bauen sowie zu versorgen und die Beziehungen zu Nordkorea im Auge behalten. Ich bezweifle also, dass es Syrien noch einmal versuchen würde. Nachdem es bereits einmal entdeckt worden ist, wird sich Syrien sicher davor hüten, noch einmal in eine peinliche Situation zu geraten und zusehen zu müssen, wie die Investitionen, die in so ein Projekt gesteckt werden, bei einem Angriff vernichtet werden.

Kein Grund zur Sorge, also?

Etwas hat uns diese Geschichte gelehrt: Es ist für ein Land möglich, ziemlich weit mit dem Bau einer Atomanlage zu kommen, ohne entdeckt zu werden. In diesem Fall ist sie zwar letztlich entdeckt worden, aber die Situation war nicht wirklich schlüssig bis zu dem Stadium, in dem die Anlage den Betrieb bereits aufnehmen hätte können. Es ist also möglich, dass ein Land wie Syrien im Geheimen einen Atomreaktor baut.

Wie hoch schätzen Sie das Risiko ein, dass Syrien gerade wieder an einem Atomprogramm bastelt?

Das schätze ich als sehr niedrig ein.

Sehen Sie in der Affäre eine Verbindung zu den kürzlich wieder aufgeflammten Problemen mit Nordkorea?

Nordkorea ist ein sehr gefährliches Land, wenn es um die Weitergabe von Atomtechnik geht. Der Fall Syrien hat uns gezeigt, dass Nordkorea absolut gewillt ist, jedem seine Atomtechnologie zu verkaufen, der bereit ist, dafür zu bezahlen. Dieser spezielle Fall wurde von Israel gestoppt, aber ich schließe die Möglichkeit nicht aus, dass Nordkorea ähnliche Technologie jedwedem Staat und sogar nicht-staatlichen Organisationen verkaufen würde, die es kaufen wollen.

Haben Sie da jemand bestimmten im Sinn?

Es gibt nicht allzu viele Länder, die bereit wären, geheime Atomtechnologie von Nordkorea zu kaufen. Das einzige, das derzeit in diese Kategorie fallen würden, wäre Myanmar (Burma). Es gibt bereits seit sechs Jahren Gerüchte, dass Myanmar mit Nordkorea in einer Nuklear-Kooperation steht. Noch wurden diese Gerüchte nicht bestätigt, aber es gibt hinreichend Gründe vorsichtig zu sein.

* Mark Fitzpatrick ist Atom-Experte beim Internationalen Institut für Sicherheitsstudien in London.