Wegen Mindereinnahmen in Milliardenhöhe wollen Bundesländer Kompensationen vom Bund.
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Es ist wie der Kater nach dem Fest. Obwohl in diesem Fall noch gar nicht gefeiert wurde. Denn noch wirkt die kalte Progression, die stille Steuererhöhung durch die Inflation, wie eh und je. Fast 15 Milliarden Euro sind im ersten Halbjahr an Lohnsteuer angefallen, um rund eine Milliarde mehr als im Jahr davor. Mit 1. Jänner 2023 soll die kalte Progression kontinuierlich abgegolten werden, in dem die Steuertarifstufen mit der Inflation mitwachsen. Das wird kosten. Die Bundesregierung erwartet Mindereinnahmen von mehr als 20 Milliarden Euro. So steht es im Entwurf, der noch bis Freitag in Begutachtung ist.
Die Ankündigung des Aus der kalten Progression im Juni traf zwar auf geteilte Reaktionen, wie sollte es auch anders sein, doch
es teilte sich im Wesentlichen zwischen verhaltener Zustimmung und großer Freude. Was auch nicht verwunderlich war, schließlich hatten vor der Nationalratswahl sämtliche Parteien ein Ende der kalten Progression versprochen. Nun aber heißt es aus dem roten Wien: "Der gegenständliche Gesetzesentwurf wird seitens des Landes Wien abgelehnt."
Sechs von neun Bundesländern haben bereits ihre Stellungnahmen zu dem Entwurf übermittelt. Bis auf Niederösterreich und Tirol, die keine Einwände haben, gehen alle Schreiben mehr oder weniger in dieselbe Richtung. Den Ländern ist offenbar gedämmert, was die Abgeltung der kalten Progression für sie bedeutet. Wenn der Fiskus weniger einnimmt, kann er auch weniger über den Finanzausgleich umverteilen.
Das ist auch der Grund für die Ablehnung Wiens, das sich mit einem Einnahmenausfall von 1,5 Milliarden Euro konfrontiert sieht. Das Land Vorarlberg, bekanntlich ÖVP-Grün-regiert, hat ausgerechnet, dass bis 2026 fast 300 Millionen Euro weniger ins Ländle fließen könnten. Salzburg spricht von "massiven Einnahmenausfällen" und denkt aber zudem an die Auswirkungen für den Landesgesundheitsfonds, da auch die Sozialversicherungsträger mit Mindereinnahmen rechnen müssen.
Bisher keine Verhandlungen
So weit wie Wien, den Entwurf gänzlich abzulehnen, geht bisher kein anderes Land. Vorarlberg aber richtet in seiner Stellungnahme dem Bund sehr eindeutig aus, dass "angesichts der Höhe der Einnahmenausfälle Kompensationsleistungen durch den Bund erforderlich sein" werden.
Die Bundesländer machen in ihren Schreiben den Bund, konkret das Finanzministerium (BMF), gesammelt auf den § 7 des Finanzausgleichsgesetzes aufmerksam, wonach bei steuerpolitischen Maßnahmen, die für andere Gebietskörperschaften finanziell nachteilig sein könnten, unbedingt Verhandlungen zu führen sind. Das betrifft auch das dritte Drittel der Abgeltung. Zwei Drittel macht der "Tarif auf Rädern" aus, also die automatische Anpassung der Tarifstufen an die Teuerung. Das dritte Drittel will die Regierung nach eigenem Ermessen aufteilen, was Wien aber nicht akzeptiert. "Dieser Teil wird von Ländern und Gemeinden aliquot mitfinanziert, ohne dass diesen hierbei ein Mitspracherecht bei der Verteilung zukäme."
Teurer Methodenfehler?
Das Land Kärnten geht ins Detail: Bei einer Online-Konferenz via Skype am 20. Juni seien nur Verhandlungen zum Abgabenrechtsänderungsgesetz geführt worden. "Laut damals erteilter Auskunft des Bundesvertreters (BMF) werde es jedoch ,Gelegenheit geben, auch über das gesamte Entlastungspaket zu sprechen‘". Diese Gelegenheit gab es bisher noch nicht.
Die Begutachtung läuft formal diese Woche aus, aber auch danach werden noch Stellungnahmen eintrudeln. Sie sind deshalb nicht ungültig. Gegenüber der "Wiener Zeitung" reagierte das Finanzministerium auf die Forderungen nur derart, dass man alle Stellungnahmen prüfen werde. Angesichts der Deutlichkeit der Schreiben ist aber damit zu rechnen, dass der Bund um ernste Verhandlungen mit den Ländern nicht herumkommen wird.
Doch nicht nur von dieser Seite droht finanzielles Ungemach. Der Ökonom Peter Brandner warnt vor einem teuren Methodenfehler bei der Abgeltung der kalten Progression. Setzt man den Steuertarif auf Räder und hebt die einzelnen Stufen mit der Inflation jedes Jahr an, profitieren auch jene davon, die weniger Einkommen haben als im Jahr davor. Etwa, weil sie in Pension gewechselt sind oder weniger gearbeitet haben. Das heißt nicht, dass sie von der kalten Progression nicht auch betroffen sein können. Aber ins Budget würden trotzdem weniger Einnahmen fließen. Die Frage ist, wie hoch dieser Effekt insgesamt ist. Schließlich arbeiten andere mehr und zahlen daher auch mehr Steuern.
Brandner kommt in seiner Berechnung auf Basis der mittelfristigen Konjunkturprognose des Wifo auf einen doch sehr großen negativen budgetären Effekt. Ohne steuerentlastende Maßnahmen würde der Fiskus bis 2026 nur rund 6 Milliarden Euro an kalter Progression einnehmen, schreibt er in einem Fachartikel in der "Steuer- und WirtschaftsKartei". Durch den "Tarif auf Rädern" fällt jedoch ein Entlastungsvolumen an, das laut Ministerrats-Entwurf bei mehr als 20 Milliarden liegt. Das wäre ein sehr großes Delta, die Lohnsteuerquote würde deutlich unter 13 Prozent fallen.