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Ländermatch

Von Werner Reisinger

Politik

Getreu dem Motto "Speed kills" setzt die Regierungsspitze die Länder unter Druck.


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Wien. Es sei ein Zeitfenster zwischen den vier Landtagswahlen und dem Beginn der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft, und das werde man nutzen. Drei große Reformprojekte stünden an, die bundesweit einheitliche Mindestsicherung, Deregulierung in der Verwaltung und die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger.

Zwei Tage nach dem Urnengang in Salzburg, der letzten der vier Landtagswahlen 2018, machten Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache damit am Dienstag den Anstoß zum Match Bund gegen Länder. In nur wenigen Monaten bis zum Sommer will die Regierung schaffen, was 25 Jahre nicht gelang: das Kompetenzen-Wirrwarr entflechten, die Verwaltung effektiver machen - und ganz nebenbei den Einfluss der Sozialpartner zurückdrängen. Das von Kurz angeführte Zeitfenster wird so zur ersten Nagelprobe der reformeifrigen Koalition von ÖVP und FPÖ. Und es gibt gleich eine ganze Reihe an Eskalationspunkten. Aber der Reihe nach.

Kurz und Strache setzen die Länder unter Druck. Bis zum 30. Juni, das hatte FPÖ-Sozialministerin Beate Hartinger-Klein am 13. April bei der Länder-Konferenz der Sozialreferenten versprochen, hätten die Länder Zeit gehabt, einen Vorschlag für eine bundeseinheitliche Mindestsicherung vorzulegen. Dieser solle dann als Grundlage dienen, so Hartinger-Klein damals. "So lange wollen wir nicht warten", sagte Kurz am Dienstag vor Journalisten. Schon am 1. Juni wollen er und Strache ihren eigenen Mindestsicherungs-Entwurf zur Begutachtung vorlegen.

Schwarzer Applaus, rote Wut

An welchem der aktuell unterschiedlichen Ländermodellen sich der Regierungsvorschlag orientieren wird, war Kurz und Strache am Dienstag nicht zu entlocken. Nur so viel: Verfassungskonform werde die neue Regelung in jedem Fall sein, betonte der Kanzler. Gleichzeitig rückt die Regierungsspitze nicht von ihrem Credo "keine Zuwanderung ins Sozialsystem" ab. Wer noch nicht eingezahlt habe, dürfe nicht dasselbe erhalten wie langjährige Beitragszahler, so Kurz sinngemäß.

Das klingt nach den viel zitierten Modellen von Ober- und Niederösterreich, wo Asylberechtigte schlechtergestellt sind. Einziger Haken: Der Verfassungsgerichtshof hob die niederösterreichische Regelung Mitte März auf. Bliebe das oberösterreichische Modell. Doch auch über dessen Rechtmäßigkeit wird der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheiden, nachdem der oberösterreichische Landesverwaltungsgerichtshof eine Beschwerde eines Asylberechtigten an das europäische Höchstgericht weitergereicht hatte. Dass die Bundesregierung Oberösterreich als Vorbild sieht, zeigt die Tatsache, dass der Verfassungsdienst des Bundes beim EuGH Ende März schriftlich die Sicht der oberösterreichischen Landesregierung zu stützen versuchte. Die entsprechende EU-Richtlinie stehe einer nationalen Regelung nicht entgegen, ist in dem Schreiben zu lesen. Es werde auf die "unterschiedlichen Bedürfnisse der jeweiligen Personengruppe Bedacht genommen" - gemeint sind befristet beziehungsweise dauerhaft Asyl oder subsidiär Schutzberechtigte.

"Die Bundesregierung und Oberösterreich marschieren in dieselbe Richtung und wollen mehr Gerechtigkeit schaffen", begrüßte Oberösterreichs ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer das Quasi-Ultimatum von Kurz und Strache an die Länder. Sein Salzburger Kollege Wilfried Haslauer reagierte ebenso positiv wie Niederösterreichs Johanna Mikl-Leitner.

Kammern sollen sparen

Empörung herrscht stattdessen bei SPÖ-Landespolitikern. Von einer "unfreundlichen Aktion den Ländern gegenüber" sprach am Dienstag der burgenländische Soziallandesrat Norbert Darabos. Auch er verweist auf den einstimmigen Beschluss der Sozialreferenten. Seine steirische Kollegin Doris Kampus ist empört über den "Wortbruch" der Regierung und spricht von "Desavouierung": "Hartinger-Klein ist entmachtet, die Bundesländer sind brüskiert." Einzig Markus Wallner, Vorarlberger ÖVP-Landeshauptmann und Mitarchitekt einer dort bewährten Kompromisslösung, zeigt sich abwartend. Man werde sehen, was der Bund vorlegen werde, so ein Sprecher am Dienstag. Einer österreichweiten Lösung stehe man in Vorarlberg offen gegenüber, wichtig sei allerdings deren Verfassungskonformität.

Zweiter Schauplatz: die Reform der Sozialversicherungsträger. Maximal fünf sollen nach der Reform überbleiben, so das Mantra von Kurz und Strache. Bis Mitte Mai soll der Reformvorschlag stehen. Die Regierung untermauert ihre Forderung mit dem Hinweis auf diverse Privilegien und das Vermögen der Sozialversicherungen. Mehrere Zeitungen berichten unter Berufung auf Regierungsunterlagen über entsprechendes Zahlenmaterial, das die Regierung aus Rechnungshofberichten, parlamentarischen Unterlagen und internen Unterlagen zusammengestellt hat.

Demnach wurden von den Sozialversicherungen rund 1,3 Milliarden Euro an Beitragsgeldern an der Börse in Aktien oder Wertpapieren angelegt und über die Jahre ein Reinvermögen von rund sechs Milliarden Euro angehäuft. Die Regierungsspitze rechnet mit Widerstand, schließlich gehe es den "Luxuspensionen" und "Privilegien" der "Generaldirektoren" an den Kragen, wie Strache ausführte. Er nutzte das Thema sogleich für einen Angriff auf Wien, dessen Gesundheitssystem "an die Wand gefahren" sei, wie der Ärztemangel, überfüllte Ambulanzen und die Baukosten beim Krankenhaus Nord zeigen würden. Wie mit dem Einfluss der Sozialpartner in den Sozialversicherungsträgern umgegangen werden soll, wollte Kurz am Dienstag nicht beantworten. Nur so viel: Die Kammervertreter hätten bis zum Sommer Zeit, der Regierung Einsparungsvorschläge zu unterbreiten. "Gibt es bis dahin keine Bereitschaft zur Veränderung, dann werden wir die gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpfen", spielte der Kanzler auf die Reduktion beispielsweise der Arbeiterkammerumlage an.

Streitpunkt Pflegeregress

Einen weiteren Konfliktschauplatz zwischen Bund und Ländern bildet die schwelende Debatte um den abgeschafften Pflegeregress. Die Länder wollen vom Bund Geld für die entstandenen Mehrkosten. Hier waren es die Länder, die vor zwei Wochen der Regierung ein Ultimatum gestellt hatten. Bis Ende Juni müsse ein Verhandlungsergebnis her, ansonsten werde man den Konsultationsmechanismus auslösen - also den Bund mit den Gemeinden und den Ländern an den Verhandlungstisch zwingen. In letzter Konsequenz drohte Wiens SPÖ-Finanzlandesrätin Renate Brauner mit dem Gang zum Verfassungsgerichtshof.

Am Mittwoch tagt nicht öffentlich das Österreichische Koordinationskomitee (Bund, Länder, Städte- und Gemeindebund). Ob es bereits eine Einigung geben wird, ist mehr als fraglich. Bis zu 650 Millionen Euro im Jahr an Mehrkosten hätten die Länder durch den Wegfall des Pflegregresses zu stemmen, so die Ländervertreter. Der Bund bot ihnen bisher nur 100 Millionen zur Kompensation.

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