Mehr Freiraum für Lehrer, Schulen und Klassenarchitektur. | Vorschriften für Brandschutz behindern offenes Lernen. | Wien. Keine Diktatur des Lehrplans, Diversifikation statt Bildungsstandards und Freiheit für Schule und Lehrer. So lauteten einige der zentralen Forderungen, die beim zweitägigen Bildungssymposium des europäischen Forums Alpbach in Wien gestellt wurden.
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"Schule ist gefährlich, wenn sie funktioniert"
"Schule ist gefährlich. Wenn sie gut funktioniert, kommen mündige Staatsbürger heraus" - und das sei nicht im Interesse der Mächtigen, sagte Rudolf Taschner am Dienstag. Der Mathematiker und Wissenschafter des Jahres 2004 referierte über den "Umbruch in Schulmodellen und Lehrplänen". In einer feurigen Rede sprach er sich - vor vielen Lehrern und Bildungsinteressierten - gegen starre Lehrpläne und für minimale Standards aus. Stattdessen solle die Persönlichkeit jedes einzelnen Kindes ernst genommen und den Schulen "totale Gedankenfreiheit" gegeben werden. Er mokierte sich darüber, dass es hierzulande immer noch einen "Landesschulinspektor" gebe, der die Lehrpläne kontrolliere, und meinte dann: "Inspektor gibt’s kan".
Stefan Thomas Hopmann, Schulexperte am Institut für Bildungswissenschaften in Wien, sagte, das hiesige Schulsystem befinde sich im "miesen Mittelfeld" - obwohl es im Spitzenfeld bei den Ausgaben liegt. Der Bildungswissenschafter ist gegen ein einheitliches Schulmodell, denn "die Gesamtschule ändert nichts". Wie Taschner kann er Bildungsstandards wenig abgewinnen: Pisa-Test und andere "Homogenisierungen der Anforderungen" würden in den ersten beiden Jahren zu besseren Ergebnissen führen, dann jedoch abflachen.
Hopmann forscht im Bereich Lehrplan- und Schulentwicklung und sagt, in Skandinavien sei der Unterricht besser, weil die Community mitbestimme, wie Schule aussehen soll.
Auch die architektonische Autonomie der Schulen war ein großes Thema: Brandschutzrichtlinien, Sicherheitsvorkehrungen - all das koste nicht nur eine Menge Geld, sondern verhindere auch die Nutzung des Raumes als "dritten Pädagogen". Denn neben Lehrern und Schülern beeinflusst auch der Raum die Lernerfolge der Schüler, ist Ursula Spannbeger von der "Plattform schulUMbau" überzeugt. Sie zeigte Fotos von Lernwerkstätten und Klassenzimmern, die eher an ein Büro mit Inseln aus Schreibtischen erinnern. Die Architektin erarbeitet mit Lehrern und Schülern, wie deren Arbeitsplatz aussehen soll. Ergebnis: Weniger Krankenstände bei den Lehrern und Schüler hüpfen nicht sofort nach dem Ertönen der Pausenglocke vom Schreibtischsessel.
Rollende Tische, verschiebbare Möbel, Leseecken - nicht immer lassen sich Ideen so einfach umsetzen. Eine ehemalige Direktorin aus dem Publikum meldete sich zu Wort und erzählte, ihre Schule habe die Gänge genutzt, doch wann immer die MA 56 - die städtische Schulverwaltung - vorbeikam, wurde alles weggeräumt.
Auch Franz Ryznar forderte: "Runter von den Sicherheitsstandards, runter vom Gedanken, dass immer jemand anderer schuld ist, wenn etwas passiert." Der Architekt meinte, es sei wichtig, auch außerhalb des Klassenzimmers Lernerfahrungen zu sammeln, und nannte Biologieunterricht auf der Donauinsel als Beispiel.
Direktoren wünschen sich offene Lernstraßen
Der Wunsch der Direktoren für Veränderung und Innovation in Schulgebäuden und Klassenzimmern wird von einer Umfrage im Rahmen einer vom Unterrichtsministerium finanzierten Studie untermauert. Demnach wünschen sich 80 Prozent der 1160 österreichweit befragten Schulleiter "offene Lernstraßen", also Flächen, wo Lehrer Lernstationen aufbauen können. Nur an 20 Prozent der Schulen gibt es solche.
Ebenfalls als wünschenswert angesehen, aber nur in rund der Hälfte der Schulen vorhanden, sind differenzierte Lernsituationen, Lernorte im Freien oder Lernzonen im Gangbereich.