Zum Hauptinhalt springen

"Landesväter"

Von Ernest G. Pichlbauer

Kommentare
Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.

Wer Bedürfnissen nachgibt, der darf sich nicht wundern, wenn der Bedarf schier unermesslich wird. Und wo wird das hinführen?


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

In einem Wochenmagazin stand eine interessante Aussage eines Landeshauptmanns, die so aber auch von jedem anderen stammen könnte. Dieser wurde darauf angesprochen, warum man nicht zwei nur zwölf Kilometer auseinander liegende Spitäler (allerdings in zwei Bundesländern) zusammenlegen und damit Millionen sparen könnte. Was denn so schlimm sei, über eine Bundeslandgrenze in ein Spital zu fahren (wo doch anderswo daran gedacht wird, ein solches sogar über Staatsgrenzen hinweg zu führen), wurde gefragt: Politik müsse die Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen. Die Menschen würden sich dort wohlfühlen und das so wollen, antwortete der Landeshauptmann. Damit mag er durchaus Recht haben.

Mein Sohn liebt Schokolade und lehnt Zähneputzen ab. Trotzdem sorgen meine Frau und ich dafür, dass er nur selten Schokolade bekommt und putzen seine Zähne. Wir handeln gegen seine Bedürfnisse, wohl wissend, dass wir so aber seinen Bedarf an Erziehung und Körperpflege decken.

Auch wenn Sie jetzt denken, es sei vermessen, ein Kleinkind mit wahlberechtigten Bürgern und Patienten zu vergleichen, ist dieser Vergleich durchaus berechtigt. Patienten wie Bürger wissen nicht, wie es um die Strukturen unseres Gesundheitssystems bestellt ist. Vielmehr muss bei den Bürgern der Eindruck entstehen, Spitäler zu sperren, sei Ausdruck krankhaften Sparwahns. Umso mehr, wenn Sie in eines kommen, in dem Patienten auf den Gängen liegen, was gerade in internen Abteilungen sehr häufig vorkommt.

Dass aber viele Patienten, die dort liegen, auch ambulant oder tagesklinisch behandelt werden könnten oder einer Pflegeeinrichtung bedürfen, weiß die Bevölkerung nicht. Nur mangelt es an diesen - verglichen mit Spitälern viel günstigeren - Strukturen. Übervolle Spitäler sind also weniger Ausdruck von Sparwahn, als vielmehr Resultat unfinanzierbarer Verschwendungssucht, weil man sich halt doch nicht so viele Spitäler leisten kann.

Genau so wenig können Patienten wie Bürger beurteilen, wie es um die Qualität der medizinischen Versorgung ihrer kleinen Regionalspitäler bestellt ist. Nur, weil einmal etwas schiefgeht, muss die Qualität nicht schlecht sein. Aber nur, weil viele Patienten mit der Behandlung zufrieden sind, bedeutet das keinesfalls, dass die Qualität deswegen gut ist. Tatsächlich werden in vielen kleinen Krankenhäusern immer wieder Operationen und andere Behandlungen vorgenommen, die dort eigentlich nicht durchgeführt werden dürften. Weil etwa die für komplizierte Behandlungen notwendige Infrastruktur nicht vorhanden ist oder schlicht die Erfahrung fehlt.

Nähmen die Landeshauptleute ihre Verantwortung als "Landesväter" und "-mütter" wirklich ernst, würden sie nicht allen Bedürfnissen ihrer Bevölkerung nachgeben. Vor allem dann nicht, wenn dies bedeutet, langfristig deren Gesundheitsversorgung aufs Spiel zu setzen. Schließlich verfügen sie, ähnlich wie Eltern gegenüber ihrem Kind, über einen gewaltigen Informationsvorsprung. Sie wissen von den Bedenken der Experten betreffend der Qualität einzelner medizinischer Leistungen in ihren Krankenhäusern genauso wie um falsche Strukturen und die zunehmende Unfinanzierbarkeit des Systems. Allerdings müssten sie dann nach Jahren, in denen sie sich mit medizinischer High-Tech-Infrastruktur und angeblicher Spitzenmedizin so gut wie überall gerühmt haben, auch zugeben, dass das System doch nicht so gut ist, wie sie stets behauptet haben.