Jüdische Siedler müssen laut Gerichtsbeschluss bis Sonntag den Außenposten Amona im Westjordanland räumen.
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Tel Aviv. "Wir sind hier zuhause", sagt der Vater von sieben Kindern, während er vor seinem rudimentären Fertighauscontainer steht und über die Hügel und Täler vor ihm blickt. Wenige Kilometer entfernt liegt Ramallah, Sitz der Palästinensischen Autonomiebehörde und faktisch die Hauptstadt des Palästinenserstaates, der einst hier entstehen soll. Doch davon will der Vater, ein streng religiöser Israeli, der seinen Namen nicht in den Zeitungen lesen will, nichts wissen. "Unsere jüdische Geschichte liegt hier zu unseren Füßen, seit tausenden Jahren", sagt er. "Wer uns aus Amona wegbringen will, schafft das nur mit Gewalt."
Amona ist nicht mehr als eine Ansammlung von Wohncontainern und Fertighäusern, bewohnt von rund 40 Familien, und doch beschäftigt das Thema die israelische Regierung, die Gerichte und die Öffentlichkeit seit Jahren. Errichtet vor rund 20 Jahren auf palästinensischem Privatland im 1967 von Israel besetzten Westjordanland, hat der Oberste Gerichtshof bereits 2006 entschieden: Diese Siedlung wurde illegal errichtet, selbst nach israelischem Recht. "Außenposten" nennt man im lokalen Sprachgebrauch diese provisorischen Kleinstsiedlungen, die in der Regel auf private Initiative von nationalreligiösen Siedlern gegründet werden, ohne Anschluss an Elektrizität, Wasserversorgung, Straßennetz, aber dafür mit viel religiösem Fanatismus. Die Siedler selbst begreifen sich als Satelliten einer größeren, vom israelischen Staat geplanten und deshalb nach einheimischem Recht legalen Siedlung.
Im Fall von Amona ist es das nahe gelegene Ofra, eine israelische Mustersiedlung mit dem Charme eines Vorortquartiers. Von dort sind 1995 junge Siedler ausgezogen, um dem zunehmend urbanen Charakter von Ofra zu entfliehen - aber auch, um den Palästinensern weiteres Land zu entreißen. Und haben auf den Hügeln Amona gegründet.
Den Gerichtsbeschluss von 2006 konnten die Bewohner von Amona mit Gelassenheit entgegennehmen, denn seit der konservative Falke Benjamin Netanjahu 2009 den Posten des israelischen Regierungschefs übernahm, hat sein zunehmend nach rechts gerücktes Kabinett stets versucht, das Urteil politisch zu hintergehen.
Gefälschte Dokumente
Der Fall Amona ist jedoch eindeutig: 2014 hat eine israelische Polizeiuntersuchung ergeben, dass Amona vollständig auf privatem palästinensischem Boden errichtet wurde und dass die Kaufdokumente, die die Siedler zur Bekräftigung ihres Anspruchs vorlegten, gefälscht waren. Im Dezember desselben Jahres legte das Oberste Gericht in einem zweiten Urteil fest, dass die Siedlung binnen zwei Jahren vollständig zu evakuieren sei. Stichtag ist der 25. Dezember 2016. Jeden Versuch der Regierung, das Datum hinauszuzögern, hat das Gericht zurückgewiesen. Eine Resolution des UNO-Sicherheitsrates zum Siedlungsstopp lehnte die israelische Regierung ebenfalls ab: Netanjahu gelang es, die für Donnerstag geplant gewesene Abstimmung zu vereiteln.
Die bevorstehende Räumung weckt in der israelischen Politik ungute Erinnerungen: Letztmals hat Israel 2005 mit dem Abzug aus dem Gazastreifen tausende Siedler zwangsevakuiert. Die Bilder, wie israelische Soldaten die Bewohner aus ihren verbarrikadierten Häusern zerrten, haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Die Regierung fürchtet nun, in Amona auf harten, gewaltbereiten Widerstand zu treffen, die Gewaltakte gegen palästinensische Bewohner sowie palästinensische Vergeltungsschläge zur Folge haben könnten.
Als Vorgeschmack haben zu Wochenbeginn bereits hunderte vor allem junge Siedler vor dem Amtssitz Netanjahus in Jerusalem demonstriert und ihre Unterstützung für die Bewohner von Amona klargemacht. Einen Kompromissvorschlag, dass den Bewohnern Land in der Nähe zur Besiedlung zur Verfügung gestellt hätte, sobald entsprechende Landbesitzrechte geklärt seien, haben die Siedler vergangene Woche per Mehrheitsentscheid zurückgewiesen. "Anstatt uns hier wegzujagen, sollte die Regierung eine Straße für uns bauen und die Infrastruktur für Elektrizität und Wasserversorgung schaffen, so wie für jeden anderen israelischen Bürger", sagt ein Bewohner. Als Wohnungsminister Yoav Galant in Amona verhandeln wollte, wurde sein Fahrzeug angegriffen und der Politiker als "Linker" beschimpft.
Gelingt die Evakuierung trotzdem relativ folgenlos, dürfte das Ende von Amona dennoch keinen Rückschlag für die jüdische Siedlerbewegung im Westjordanland darstellen. Nach internationalem Recht illegal und von der Weltgemeinschaft regelmäßig verurteilt, findet das Projekt im aktuellen Regierungskabinett so viel Unterstützung wie kaum zuvor. Zu Monatsbeginn hat Israels Parlament einen ersten Gesetzesentwurf verabschiedet, der die rückwirkende Legalisierung von rund 4000 illegal errichteten Siedlerhäusern im Westjordanland vorsieht - und damit de facto die Konfiszierung von palästinensischem Land für private Wohnzwecke. Die Konfiszierung von Privatland ist bisher nur für "öffentliche Zwecke" legal, über die der Militärkommandant in den besetzen Gebieten, nicht die Politik entscheidet.