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"Was wir jetzt brauchen, sind Friedenstäter und nicht Friedensplauderer", sagte mir am 26. Dezember Rev. Mitri Raheb, der evangelisch-lutherische Pfarrer der "Weihnachtskirche" in Bethlehem. Er hat ohne Zweifel Recht. Tatsache aber ist, dass vor allem jetzt nach dem erfolgreichen Abschluss der palästinensischen Wahlen, die letzteren das Sagen haben und zwar weltweit. Durchaus verständlich.
Diese Wahlen nach dem Tod des legendären Idols Yassir Arafat, waren eine reife, in der arabischen Welt einzigartige demokratiepolitische Leistung, die Anerkennung verdient: eine Wahlbeteiligung von 70 Prozent unter besonders schwierigen Umständen, ein klares Ergebnis von 62,3 Prozent für Mahmud Abbas, nicht zu viel also, aber auch nicht zu wenig und ein ruhiger Verlauf der Wahl, die von den internationalen Beobachtern als frei und fair beurteilt worden ist.
Tödlicher Kreislauf
Es ist also verständlich, dass da und dort vom "Anbruch einer neuen Ära", von "neuen Chancen für eine Entwicklung zum Frieden" geredet wurde, notabene langsam alle die Nase voll haben von dem ewigen Kreislauf von Töten und Getötetwerden, diesem circulus viciosus von Gewalt und Gegengewalt, die Menschen vor Ort schon lange aber langsam auch der Rest der Welt.
Die Palästinenser in der Westbank, in Gaza, in Ostjerusalem sind müde, sind erschöpft, es geht ihnen wirtschaftlich miserabel, das durchschnittliche Jahreseinkommen der Familien liegt nur knapp über 1000 Dollar. Aber auch die Israelis spüren mehr und mehr, was sie das kriegerische Abenteuer ihrer Regierung kostet.
Ich wohnte in Tel Aviv sozusagen im Zentrum der Stadt, gleich hinter der Ben Yechuda. Bei meinen Wegen durch die Straßen und Gassen fiel mir mehr als früher der elende Zustand der an sich billig und nicht gerade gut gebauten Häuser auf, sie bröckeln, sehen immer schäbiger aus. Mehr und mehr Geschäfte sind geschlossen, die Schaufenster beklebt und verschmiert. In den Familien werden auch hier die Budgets enger und man spart für den Sohn, für die Enkeltochter, dass sie sich nach dem Militärdienst einen Auslandsaufenthalt leisten können, von dem er oder sie immer seltener zurückkommt. Die Friedensparolen fallen also verständlicherweise auf fruchtbaren Boden, obgleich niemand wirklich daran glaubt. Und auch das ist verständlich, wie das folgende Beispiel deutlich machen mag:
In den letzten beiden Jahren wurde die berüchtigte "Mauer" zwei bis vier Kilometer außerhalb der "Green-Line" um das große und an sich wohlhabende Dorf Jayyus im nördlichen Westjordanien, unweit der schon längst zur Enklave gemachten Stadt Qalqiya, gezogen. Die Bewohner verloren durch diesen Bau viel fruchtbares Land, auf dem sonst Gemüse, Zitrusfrüchte, Oliven, Wein aber auch Guaven gediehen. Proteste der Bewohner verhallten ohne Reaktion.
Das war aber noch nicht alles, wie sich kurz vor Jahresende herausstellte. Bei Gaddi al Gazi, dem Gründern und Führer der Friedensbewegung Ta'Ajush, seines Zeichen Professor für Germanistik an der Hebrew University von Tel Aviv, schrillte eines Nachmittags das Telefon. Abu Azzam, ein Bauernvertreter aus Jayyus, war am Apparat und bat dringend um Hilfe, denn sie hätten eine erschreckende Entdeckung gemacht.
Was war geschehen? -Während die ganze Welt über Sharons Rückzugsplan aus Gaza, seinen "mutigen" Kampf gegen die Siedler, diskutierte und mit Hoffnungen auf die angekündigten Wahlen blickte, hatten von den Bewohnern von Jayyus und dem Rest der Welt unbemerkt hinter der Mauer hunderte von Bulldozern das Terrain bearbeitet und ein kleines aber effizientes Heer von Arbeitern begonnen in Tag- und Nachtschichten eine neue Siedlung hochzuziehen, in der 2100 neue Häuser und ein entsprechender Zuzug von israelischen Mittelstandsfamilien vorgesehen sind.
Spekulanten am Werk?
Hier sollen die Spekulanten das Wort haben, denn hier soll es sich nicht um jüdische Einwanderer aus Osteuropa oder sonst wo handeln, sondern um Mittelstandsfamilien, die auf Kosten der palästinensischen Bauern ihren Lebensstandard verbessern wollen. Selbstverständlich, dass die Anwärter die wahren Hintergründe nicht kennen.
Gadi al Gazi beriet sich mit seinen Leuten und am letzten Tag des Jahres 2004 machten sie sich in einer Autokolonne auf den Weg. Sie führten junge Olivenbäume mit sich, um ein Zeichen zu setzen. In der letzten Woche des Jahres waren im Olivengarten des Bauernführers Abu Azzam nicht weniger als 300 zum Teil über 100 Jahre alte Olivenbäume mit Bulldozern ausgerissen und auf Lastwagen abtransportiert worden.
Immerhin man ist klüger geworden. Vor einigen Jahren musste ich in der Gegend von Birzeit noch mit ansehen, wie Olivenbäume von Kettenfahrzeugen soweit zermalmt wurden, dass man nicht einmal mehr das Holz verwenden konnte. Jetzt macht man Geschäft damit. Die alten Bäume werden an Angehörige der israelischen Schicki-micky-Gesellschaft um teures Geld verkauft, damit diese Leute sich dann einen solch alten Baum als Prestigeobjekt in ihren Garten pflanzen können, falls er anwachsen sollte.
Die Aktion hinter der Mauer bei Jayyus wurde von einer kleinen israelischen Baufirma durchgeführt, allerdings mit massivem Schutz durch Militär- und Polizeieinheiten. Deren Angehörige den überwiegend jungen Leuten von Ta'Ajush dann auch das Leben schwer zu machen suchten. "Wir haben die kleinen Bäume in die Löcher der alten Bäume gepflanzt und wollten dann mit einem kleinen Baum zu einer Gruppe von Palästinensern gehen, die sich auf der anderen Seite des Elfmeter-Giganten aus grauem Beton versammelt hatten", erzählt al Gazi. "Wir wollten ihnen dieses Zeichen der Hoffnung bringen. Das war ein hartes Stück Arbeit, denn man versuchte alles, um uns von unserem Vorhaben abzubringen. Nur die Tatsache, dass wir auch internationale Gäste bei uns hatten, bewirkte, dass man uns endlich durch gelassen hat und wir den Wartenden in 30 Meter Abstand von der Mauer das Bäumchen überreichen konnten."
"Die Macht der Bulldozer"
Plötzlich verdüstert sich das an sich weiche Gesicht des etwa 40jährigen israelischen Intellektuellen mit der sanften Stimme. Zornesfalten stehen auf seiner Stirn und er meint hart: "Die Macht der Bulldozer, darauf müssen wir aufmerksam machen, darauf müssen wir das Interesse der Weltöffentlichkeit lenken. Während über Frieden geredet oder geplaudert wird, geht diese Kolonialpolitik unvermindert weiter. Tag für Tag, Nacht für Nacht werden Fakten geschaffen, wird Land geraubt.
Es geht nicht mehr um den Kampf von zwei Völkern um ein Land, auf das beide ein Recht haben. Es geht Quadratmeter um Quadratmeter um Boden, um Bäume, um Wasser. Wenn die internationale Öffentlichkeit sich mit den Worten und den kleinen Gesten im Fernsehen und auf Pressekonferenzen abfindet, verrät sie die uralte Geschichte der Olivenbäume und der Menschen, die von ihnen immer gelebt haben - und das ist dann keine kleine Verletzung der Menschenrechte mehr. Diese aus dem fremden Boden gestampften Siedlungen sind das Haupthindernis für eine für beide Völker notwendige gemeinsame Zukunft."
Keinen Zugang mehr
Einstweilen können die Bauern von Jayyus noch zu ihren Feldern und Gärten jenseits der im Bau befindlichen Sieldungsgebiete von "Nofei Zufim", wie die Siedlung heißt. Sie müssen sich nur ausweisen und pünktlich sein, um die Posten an den schwer bewaffneten Wächter nicht zu irritieren. Wenn die Siedlungsgebiete - es sind insgesamt fünf geplant - und die Straßen dann fertig sein werden, wird man sie zu einem Sicherheitsrisiko erklären und sie werden keinen Zugang mehr zu ihrem Eigentum haben, sie werden also alles verlieren. Punktum!
Wovon diese seit hunderten von Jahren eingesessenen Bauern dann in ihrem Emmentalerloch leben werden, interessiert niemanden, falls die Welt nicht doch eines Tages aufwachen sollte. Wofür es allerdings im Moment keine echten Anzeichen gibt.
"Und der Regierungseintritt der Labour-Party, kann der da nicht eine Veränderung der Politik, ein Umdenken bringen?" - frage ich schon etwas unsicher geworden? Al Gazi deutlich: "Meine Hoffnungen sind gering, es scheint, dass sich die Arbeitspartei nicht nur billig, sondern auch dumm verkauft hat, denn es ginge darum, sich wirklich einzumischen und nicht nur um eine Teilhabe an der Macht. Ich weiß nicht, aber vielleicht ist Shimon Peres wirklich schon zu alt, um noch eine klaren Blick und die heute nötige politische Kraft zu haben.
"Die Welt hat nicht gehört"
Tatsache ist: Die Welt hat nicht gehört. Die Palästinenser haben weggeschaut, um in Vorwahlzeiten ihre Machtlosigkeit nicht zugeben zu müssen, und von den Israelis hatten gut 95 Prozent keine blasse Ahnung. Wir Aktivisten werden jedoch jedenfalls dort und an anderen Orten bleiben und aufmerksam zuschauen, denn uns geht es darum ein internationales Bewusstsein zu schaffen, das verhindert, dass die ganze Welt auf Sharons plötzliche Schalmeientöne hereinfällt. Er will das Land und er will das Land ohne Menschen, so ist es!"
Wenn man solche Worte, solche Töne aus dem Mund eines engagierten israelischen Bürgers hörte, schauten das erfreuliche Wahlergebnis und die daran geknüpften Hoffnungen schon vor der jüngsten Eskalation irgendwie ein bisschen alt aus.