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Landraub vor der Haustür

Von Antje Stiebitz

Reflexionen
Schäfer wie Horst Winkler und andere Landwirte gehen schweren Zeiten entgegen.
© Isabell Zipfel

In Ostdeutschland treten Großinvestoren in die Fußstapfen der preußischen Gutsherren und kassieren millionenschwere EU-Subventionen. Familienbetriebe oder Biolandwirte haben kaum noch eine Chance.


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Horst Winkler öffnet die Stalltür und deutet auf ein Lämmchen: "Gerade auf die Welt gekommen" sagt der Mann mit dem rosigen Gesicht. 72 Jahre ist er inzwischen alt, noch in der DDR hat er "Ingenieur für Tierproduktion" gelernt und sich schon damals auf die Schäferei spezialisiert. Der Ruhe wegen. Jetzt bewirtschaftet er mit seinem Sohn einen Hof mit 130 Hektar und 600 Schafen im brandenburgischen Marxdorf. 60 Kilometer östlich von Berlin. Er ist stolz auf seinen Beruf: "Die Tiere halten beim Weiden die Grasnarbe kurz, dadurch verdichtet sich das Gras und die Unkräuter können sich nicht ausbreiten. Auf den Deichen treten sie den Boden fest, außerdem kann man die Dämme kontrollieren, während man die Schafe hütet." Nützlich, keine Frage.

Dennoch gehen Schäfer wie Winkler schweren Zeiten entgegen. Denn die Schäferei rechnet sich nicht mehr, Wolle und Fleisch sind wenig lukrativ. Nur dank der EU-Subventionen überleben die Hirten. Und die Lage spitzt sich weiter zu, denn ostdeutscher Ackerboden ist längst zu einem millionenschweren Spekulationsobjekt der Konzerne und Investoren geworden. Landgrabbing - der berüchtigte Landraub - ist kein Schreckensphänomen afrikanischer Staaten. Er geschieht auch in Deutschland. Mit dramatischen Folgen: In den letzten fünf Jahren haben sich die Bodenpreise in Ostdeutschland verdoppelt.

Der Ausverkauf

Die Familie Winkler hat ihre Pachtverträge zwar gerade erst um 12 Jahre verlängert, trotzdem bangt sie, dass man ihr die Pachtflächen abwirbt: "Bei den Pachtsummen, die große Betriebe zahlen, können wir nicht mithalten. Wir befürchten, dass wir in rund zehn Jahren einpacken müssen." Die Zahlen des Schafzuchtverbands Berlin-Brandenburg belegen, dass die Existenzangst begründet ist. Seit der Jahrtausendwende reduzierte sich der brandenburgische Schafsbestand von 170.000 auf 100.000 Tiere.

Die Anfänge des Ausverkaufs reichen weit zurück. Nach der Wende hielt die alte Bundesrepublik 2,1 Millionen Hektar ostdeutschen Ackerboden in den Händen. Die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG), ein Ableger der Treuhand, übernahm 1992 nicht nur die Rückgabe an Alteigentümer, sondern auch die Verwaltung und Privatisierung der Flächen. Bis heute.

Der Löwenanteil der Flächen ist inzwischen verpachtet oder verkauft. In den ersten Jahren waren es vor allem die Nachfolgebetriebe der "Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften", kurz LPG, deren ehemalige Leiter das Land extrem günstig pachteten und sich oft verpflichteten, es 20 Jahre zu bewirtschaften. Inzwischen laufen viele dieser Verträge aus. Das Land ist wieder auf dem Markt: 2012 wurden 33.000 Hek-tar neu verpachtet, 2011 etwa 79.400 Hektar. Das ruft finanzkräftige Kapitalanleger auf den Plan. Denn seit der Finanzkrise 2008 suchen Investoren neue Anlagemöglichkeiten jenseits von Aktien und Häusern in den Metropolen.

Die Unternehmen greifen in Ostdeutschland nach Landflächen in den Dimensionen von preußischem Großgrundbesitz. Viele der Käufer sind ursprünglich "außerlandwirtschaftliche" Investoren: Eckehard Niemann von der "Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft" hat im "Kritischen Agrarbericht 2010" ein gutes Dutzend solcher Investoren aufgelistet: Darunter die Steinhoff Familienholding, der rund 2800 Hektar eigenes Land zugeschrieben wird und die insgesamt etwa 20.000 Hektar bewirtschaftet. Vor allem in den frühen 2000er Jahren hat der Gründer Bruno Steinhoff, der vor der Wende Möbel aus Ostdeutschland und Osteuropa in den Westen importierte, vier bis fünf große Agrarbetriebe aufgebaut. Dort werden heute vor allem Mais, Roggen und Gerste für Biogasanlagen sowie Getreide für den Handel angebaut, wie es aus dem Unternehmen heißt.

Oder die "JLW Holding AG" des Viehhändlers Jürgen Lindhorst aus Winsen, die ihr Geschäft auf Landwirtschaft, Immobilien und Seniorenpflege gründet, kultiviert 24.000 Hektar in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Zuletzt wurde wieder ein 5000 Hektar Betrieb am Stettiner Haff übernommen: die Ducherower Agrar GmbH durch den Heizungs- und Biogas-Industriellen Martin Viessmann.

Insgesamt listet Niemann weit über 100.000 Hektar Land auf, das sich inzwischen in der Hand von Investoren befindet - weit mehr Fläche als im Bundesland Berlin. Zum Vergleich: Die durchschnittliche LPG in der DDR hatte 4000 Hektar, ein bäuerlicher Durchschnittsbetrieb rund 50.

Wertsteigerung

Die Strategie dieser Investoren bestand lange darin, auf den riesigen Gütern Pflanzen für Biogasanlagen anzubauen. Neben der Rendite aus der sogenannten Bio-Energie waren laut "Manager-Magazin" die "Wertsteigerungs-Phantasien" beim weltweit knapper werdenden Gut "Fruchtbarer Boden" die Triebfeder. Das bundeseigene Thünen-Institut für Agrarforschung fand zuletzt heraus, dass "nichtlandwirtschaftliche Investoren" in den neuen Bundesländern je nach Region zwischen 20 bis 50 Prozent der Äcker und Wiesen in Händen halten.

Der Chef eines der größten deutschen Agrarunternehmen, Siegfried Hofreiter, ist immerhin Landwirt. Das Geschäftsmodell seiner KTG-Agrar ist verblüffend: Der börsennotierte Konzern bewirtschaftet mit 600 Angestellten 31.000 Hektar Ackerland auf über 30 Standorten. Angebaut wird zur Hälfte konventionell, zur Hälfte ökologisch: Bio-Kartoffeln, -Zwiebeln und -Möhren. Dazu Raps und Mais für Dutzende von Biogasanlagen. Die Rendite der KTG-Agrar lag in den letzten Jahren zwischen vier und sechs Prozent - branchenüblich. Nach einer Berechnung des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) stehen dem Betrieb gemäß der Flächenprämie jährlich allein neun Millionen Euro Subventionen zu. "Millionen für Millionäre", moniert der BUND. Die gewaltige Anhäufung von Boden und Geld findet Fabian Lorenz, Sprecher der KTG-Agrar, nicht anstößig: "Wir blicken nach Osteuropa und Brasilien. Für dortige Verhältnisse sind wir ein Zwerg."

Reinhard Jung, Sprecher des Bauernbunds Brandenburg, vertritt vor allem Landwirte mit einer Hofgröße von zehn bis 500 Hektar. Er ärgert sich bis heute, dass sich nach der Wende niemand dafür interessierte, bäuerliche Familienbetriebe zu fördern: "Denjenigen, die sich selbstständig machen wollten, fehlten die notwendigen Seilschaften und die Politik bremste sie systematisch aus." Jetzt schauen die Familienbetriebe schon wieder in die Röhre. Kostete ein Hektar Agrarfläche 2008 noch 6319 Euro, mussten Käufer 2012 schon 13.761 Euro pro Hektar bezahlen. Ähnliches gilt für die Pachtpreise - Summen, die Familienbetriebe nicht erwirtschaften können.

Udo Kutzke sitzt hinter seinem Schreibtisch und telefoniert. Auf den ersten Blick wirkt der Agraringenieur etwas raubeinig, aber er hört geduldig zu und antwortet wortgewandt. Der 63-Jährige hat nach der Wende tiefgreifende Veränderungen erlebt. Er gehört zu den viel kritisierten Ex-LPG-Kadern, denen auch von Experten wie Eckehard Niemann vorgeworfen wird, sie hätten ihren Einfluss über die Wende gerettet. Udo Kutzke fechten solche Behauptungen nicht an. "Ja, ich war LPG-Vorsitzender, aber ich hatte kein Parteibuch. Nach der Wende wollte ich meine Funktion abgeben, aber keiner wollte sie übernehmen. Gut, habe ich damals gesagt, dann wandeln wir uns um." So wurde aus der LPG Tierproduktion in Küstrin-Kiez die "Cüstriner Landgut GmbH". Ironie des Schicksals: Udo Kutzke stammt aus einem ehemaligen bäuerlichen Familienbetrieb. Seine Familie wurde 1956 im Zuge der "Kollektivierungsphase" enteignet und der Betrieb ging in eine LPG über.

Auf den 1500 Hektar des LPG-Nachfolgehofs wachsen Weizen, Raps und Sonnenblumen. An Tieren gibt es Puten und Kühe. Vier Tierwirte, fünf Schlepperfahrer, ein Schlosser und drei Verwaltungsangestellte arbeiten hier. Der Anstieg der Pachten trifft auch Leute wie ihn: Kutzke ist alarmiert darüber, dass sich immer mehr Großinvestoren einkaufen. In seiner direkten Umgebung hat sich die KTG-Agrar mit Biogasanlagen und riesigen Maismonokulturen ausgebreitet. "Das ist ein börsennotiertes Unternehmen, da zählt nur das Geld. Bei mir zählt es, Ökonomie und Natur in Einklang zu bringen."

Auf die amtlichen Bodenverwalter der BVVG ist Udo Kutzke nicht gut zu sprechen. "Wenn meine Pachtverträge auslaufen, nennt mir das Katasteramt einen bestimmten Durchschnittspreis pro Hektar." Seine Stimme ist ärgerlich: "Die BVVG sagt mir aber den doppelten Preis. Denn der Staat braucht Geld und hat die Gesetze so gestrickt, dass er mit dem Meistbietenden ins Geschäft kommt." Auf diesen Vorwurf kontert die BVVG, dass sie bei Ausschreibungen grundsätzlich ortsansässige Bauern bevorzuge. Doch Kutzke kennt die Tricks: "Die Großinvestoren schicken die Landwirte als Strohmänner pachten und kaufen dann das Land. Die BVVG weiß das, versteckt sich aber hinter ihren Regeln."

Das Land verödet

"Es wird ungemütlicher. Einzelne Existenzen sind gefährdet", erklärt Bauernbund-Sprecher Jung. "Plötzlich ist der Boden Renditeobjekt. Wir bekommen amerikanische Verhältnisse, Felder und Dörfer veröden." Für diese Entwicklung macht Jung die Politik der Nachwendezeit mitverantwortlich. Die LPG-Nachfolgebetriebe seien finanzschwach gewesen und darum überaus geeignete Anlageobjekte für Großbetriebe.

Die Subventionspolitik der EU stützt bislang die Geschäfte der Großen. Das belegen Zahlen des BUND für 2012: "44 Prozent der Bauern in Deutschland bekommen nicht einmal 5000 Euro pro Jahr. Die größten Agrargüter in Deutschland erhalten dagegen ein Drittel der gesamten Direktzahlungen, obwohl sie lediglich zwei Prozent der Betriebe ausmachen". Das wird sich auch nach der kürzlichen Einigung der Agrarministerkonferenz in München nicht nennenswert ändern. Die Förderung der kleinen und mittleren Betriebe bleibt minimal. Außerdem sperrt sich der deutsche Bauernverband weiter dagegen, die Zahlungen auf 300.000 Euro pro Betrieb zu beschränken. Wer diese Kappung verweigert, stärkt den Großagrariern weiter den Rücken.

Antje Stiebitz lebt als freie Journalistin in Berlin und schreibt Interviews, Portraits, Reportagen und Buchbesprechungen.