In Kolumbien werden immer wieder Skandale publik, in die Ex-Präsident Alvaro Uribe verwickelt ist. Der Graben zwischen den beiden Lagern des Establishments vertieft sich immer weiter.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Bogota. Nach mehr als vierjähriger Abwesenheit betrat Maria Pilar del Hurtado Ende Jänner wieder heimatlichen Boden. Allerdings unfreiwillig. Die einstige Chefin des mächtigsten Geheimdienstes Kolumbiens (DAS) befand sich davor im Asyl in Panama. Ex-Präsident Alvaro Uribe hatte ihr das bei seinem Freund Ricardo Martinelli, dem Präsidenten Panamas, besorgt. Doch als Martinelli abgewählt worden war (mittlerweile wird er wegen Korruptionsvorwürfen selbst von der Justiz seines Landes gesucht), zog sein Nachfolger die schützende Hand über Pilar del Hurtado zurück und Interpol schrieb sie weltweit zur Festnahme aus. Da zog die Ex-Geheimdienstchefin die Rückkehr der demütigenden Verhaftung auf irgendeinem Flughafen der Welt vor und kehrte nach Kolumbien zurück, direkt ins Gefängnis.
Oberste Richter abgehört
"Eine kriminelle Organisation im Präsidentenpalast", "höchst alarmierend", "schauderhaft" - mit diesen Ausdrücken reagierten die Mitglieder des Obersten Gerichtshofes Kolumbiens 2010 auf die Entdeckung, dass sie von dem direkt dem Staatspräsidenten unterstehenden Geheimdienst DAS ausspioniert und abgehört worden waren. Nicht nur ihre Besprechungen in den Büroräumen wurden aufgezeichnet, sondern auch Gespräche im privaten Umfeld und zu Hause. Außerdem wurde bekannt, dass nicht nur die Mitglieder des Obersten Gerichtshofes überwacht worden waren, sondern auch zahlreiche JournalistInnen, Linkspolitiker und MenschenrechtsaktivistInnen.
Die Weitergabe solcher Informationen an paramilitärische Gruppen haben nicht selten die Verfolgung und Ermordung regimekritischer Personen zur Folge. Oberster Leiter dieses Geheimdienstes war der Staatschef Alvaro Uribe persönlich, der einzige Langzeitpräsident (2002 bis 2010) in der Geschichte Kolumbiens. Durch den Kauf von Abgeordnetenstimmen hatte er 2006 eine Verfassungsänderung erreicht, wodurch er ein zweites Mal kandidieren konnte.
Über Unregelmäßigkeiten und kriminelle Machenschaften im präsidialen Geheimdienst war schon seit langem spekuliert worden. Im September 2011 - ein Jahr zuvor hatte Uribe das höchste Staatsamt an seinen einstigen politischen Ziehsohn Juan Manuel Santos weitergeben müssen - war Jorge Noguera, DAS-Direktor von 2002 bis 2006, ein enger Freund und Wahlkampfhelfer von Uribe, wegen Mordes an dem Uni-Professor und Menschenrechtsaktivisten Alfredo Correa De Andreis zu 25 Jahren Haft verurteilt worden. Einen Monat später unterzeichnete Präsident Juan Manuel Santos ein Dekret zur Auflösung des DAS.
Kolumbien ist seit Jahren in zwei große politische Blöcke gespalten: die Anhänger des rechtsautoritären Expräsidenten Uribe und die Mitte-Rechts-Koalition der Regierung Santos. Uribe kann auf die Unterstützung der Agraroligarchie, des rechten Flügels der staatlichen Sicherheitskräfte sowie lokaler und regionaler Seilschaften zählen, die nicht selten in kriminelle Machenschaften verstrickt sind. Santos hingegen ist der Vertreter des (neo-)liberalen Establishments und der modernisierenden Bourgeoisie, die aus wirtschaftlichen Gründen den seit einem halben Jahrhundert andauernden bewaffneten Konflikt enden wollen. Dieser hat in diesem Zeitraum mehr als 200.000 Todesopfer gefordert, 80 Prozent davon aus den Reihen der Zivilbevölkerung. Der Großteil davon geht auf das Konto der rechtsextremen militärischen Verbände. An zweiter Stelle der Täter steht die Guerilla und an dritter Stelle die staatlichen Sicherheitskräfte, die häufig mit den Paramilitärs zusammenarbeiten.
Der immer noch politisch sehr einflussreiche heutige Senator Uribe - er ist in den sozialen Medien äußerst präsent - ging sofort nach der Rückkehr der Ex-Geheimdienstchefin zum Angriff über. Er beschuldigte die Santos-Regierung der politischen Verfolgung des Uribe-Lagers. Dabei unterstütze die Generalstaatsanwaltschaft, die höchste Anklagebehörde des Landes, den Präsidenten, ebenso wie die "extreme Linke" und die Farc-Guerilla.
Trotz dieser haarsträubenden Argumentation schafft es Uribe immer noch, von einem großen Teil der Bevölkerung und der Medien ernst genommen zu werden. Die Wut auf die Staatsanwaltschaft beruht darauf, dass diese Pilar del Hurtado im Fall einer lückenlosen Aufklärung des Falls Strafnachlass zugesichert hatte. In einer ersten Reaktion lehnte die prominente Untersuchungsgefangene das Angebot jedoch ab. Sie wolle zuerst den Ausgang des Prozesses abwarten. Der ehemaligen DAS-Chefin drohen bis zu 22 Jahre Haft.
Strohmann-Kandidat
Ein weiterer Skandal steht in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen 2014. Da Uribe selbst nicht mehr antreten durfte, ernannte er einen Strohmann aus seiner neu gegründeten Partei Centro Democrático, Oscar Ivan Zuluaga, zum Kandidaten. Im Rahmen von Zuluagas Kampagne wurde der Hacker Andrés Sepúlveda angeheuert, um belastendes Material über andere Kandidaten und über den Friedensprozess - einem roten Tuch für Uribe - zu sammeln. Später gab der Schatzmeister der Wahlkampagne Zuluagas irreguläre Geldflüsse an David Zuluaga, den Sohn des Uribe-Kandidaten, zu. Nun griff die Staatsanwaltschaft ein. Sepúlveda wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt, unter anderem wegen Spionage, da er vom militärischen Geheimdienst Informationen abgekauft hatte. In der vorletzten Jännerwoche lud die Staatsanwaltschaft David Zuluaga und Luis Alfonso Hoyos, den "Spirituellen Wahlkampfberater" (so seine Funktionsbezeichnung) zur Einvernahme ein - wobei Letzterer sich bereits ins Ausland abgesetzt hatte und nicht erschien. Der Fortgang des politisch heiklen Prozesses wird in der kolumbianischer Öffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit verfolgt und vertieft den Graben zwischen den beiden Lagern des Establishments weiter.
Die Festnahme von Uribes Geheimdienstchefin María del Pilar Hurtado und die Turbulenzen um seinen Präsidentschaftskandidaten Oscar Zuluaga haben den ehemaligen Staatschef zu einem bewährten Mittel greifen lassen: bei Problemen in den Angriff übergehen. Die Uribe-Partei Centro Democrático hat in der ersten Februarwoche beim UN-Menschenrechtsrat in Genf Anklage gegen die Regierung wegen "Verletzung der Rechte politischer Partizipation, darunter die Meinungs- und Versammlungsfreiheit", erhoben. Uribe selbst flog am 10. Februar nach Washington, um dort vor verschiedenen Foren die angebliche politische Verfolgung durch die Regierung Santos anzuklagen. Die Antwort des Präsidenten ließ nicht lange auf sich warten. Bei einer Ansprache vor dem Journalistenverband in der Hauptstadt Bogotá katalogisierte er das Uribe-Lager als "rechtsextrem", das "faschistische Taktiken" verwende: "Sie lügen, lügen, lügen - und davon bleibt eben immer etwas hängen".