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Lange Warteschlangen vor den Konsulaten

Von Luis Jaime Cisneros

Politik

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Buenos Aires - "Es gibt keine Arbeit in Argentinien. Ich habe versucht, von allem ein bisschen zu machen, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen, aber es klappt nicht. Ich will hier nicht verhungern", sagt der 29-jährige Daniel Gonda. Mit Dutzenden anderen steht er in der Warteschlange vor dem spanischen Konsulat in Buenos Aires.

Wer italienischer oder spanischer Abstammung ist, versucht, ein Visum für Europa zu ergattern, um der Wirtschaftskrise in Argentinien zu entfliehen. Vor allem Jugendliche und Erwachsene ohne Arbeit sind davon überzeugt, keine Zukunft mehr in dem Land zu haben. Sie kommen im Morgengrauen und stehen stundenlang vor den Konsulaten an, um Einlass zu bekommen.

Die 48-jährige Ärztin Mirtha Senlle sitzt auf einem Campingstuhl vor der spanischen Botschaft. Sie hat sich im Schatten niedergelassen, um sich vor der Hitze mit Temperaturen von mehr als 30 Grad zu schützen. "Seit sechs Monaten habe ich kein Gehalt bekommen, obwohl ich drei Jobs gleichzeitig mache, um zu überleben", sagt sie. "Ich habe Angst zu gehen, aber meine Freunde haben mich ermutigt."

Der Massen-Exodus spiegelt die wirtschaftliche und soziale Krise wider, in die Argentinien in den vergangenen Jahren gerutscht ist und die ihren Höhepunkt im Dezember mit dem Rücktritt von Präsident Fernando de la Rua und mehreren Straßenschlachten in der argentinischen Hauptstadt fand. Seit mehr als dreieinhalb Jahren steckt Argentinien in einer Rezession. "Wir gehen zum Teufel, wenn wir hier nicht rauskommen", sagt ein junger Mann, der in kurzen Hosen und einem schwarzen Hemd vor dem spanischen Konsulat steht.

Die meisten Antragsteller berufen sich auf ihre italienischen und spanischen Vorfahren, um eine neue Nationalität zu bekommen, die eine bessere Zukunft verspricht. Etwa 60 Prozent der Argentinier sind italienischer Abstammung. Jeder, dessen Eltern oder Großeltern in Italien geboren wurden, kann einen italienischen Pass beantragen und damit in jedes Land der Europäischen Union auswandern. Etwa 20 Prozent der Bevölkerung sind spanischer Herkunft. Für sie sind die Bestimmungen strenger: Sie müssen einen spanischen Elternteil nachweisen, um einen spanischen Pass zu bekommen.

Elida Gonzalez wartet seit vier Uhr in der Früh vor dem spanischen Konsulat, gemeinsam mit etwa 500 anderen Antragstellern. Sie hofft, während der Öffnungszeiten zwischen 8.30 Uhr und 14 Uhr eingelassen zu werden. Gonzalez ist mit einem arbeitslosen spanischen Ingenieur verheiratet. Enrique Silva, ein 58-jähriger Arbeiter, ist mit zweien seiner sechs Kinder gekommen, die Argentinien verlassen wollen: "Ich unterstütze ihre Entscheidung. Diejenigen, die mit ihrem Land verbunden sind, bleiben. Aber diejenigen, die nach Chancen suchen, gehen."

Hoffnung auf eine bessere Zukunft haben auch die Menschen vor dem italienischen Konsulat. Dort hat das Büro für Migration nur bis 11 Uhr geöffnet. Also müssen sich die Menschen noch früher in die Warteschlange einreihen, um die Chance haben, hineinzukommen. Geduldig warten die Menschen auf der Straße. Frauen tragen ihre Babys auf dem Rücken, Männer haben Schirme aufgespannt oder sich Hüte aus Papier gebastelt, um sich während der langen Wartezeit gegen die erbarmungslosen Sonnenstrahlen zu schützen.