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"Langer und blutiger Bürgerkrieg"

Von Ramon Schack aus Berlin

Politik

Nahost-Experte Scholl-Latour: Westen hat nichts aus dem Arabischen Frühling gelernt.


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"Wiener Zeitung": Herr Scholl-Latour, die Spannungen zwischen Syrien und der Türkei nehmen beständig zu.Peter Scholl-Latour: Damaskus und Ankara haben gegenseitige Luftraumsperren verhängt. Der türkische Außenminister drohte, dass bei weiteren Grenzverletzungen durch Syrien "ohne Zögern" zurückgeschlagen werde. Die Türkei hat eine radikale Kehrtwende vollzogen, bezüglich ihrer Politik gegenüber Syrien, die bis vor kurzem noch von einer engen Zusammenarbeit gekennzeichnet war. Assad kann kein Interesse daran haben, jetzt auch noch die Türkei militärisch gegen sich aufzubringen. Schon seit Beginn des jüngsten Aufstands erhalten die Aufständischen Nachschub auch über die türkische Grenze.

Was bezweckt Ankara mit einer Einmischung in Syrien?

Darüber kann man nur spekulieren. Sicher ist die Regierung Erdogan daran interessiert, die Türkei als sunnitische Vormacht in der Region zu etablieren. Dieses Unterfangen ist aber für die Türkei nicht risikolos, denn auch unter syrischen Sunniten hegt man eher zwiespältige Gefühle - gegenüber einer türkischen Vormachtstellung, basierend auf den historischen Erinnerungen an die Osmanische Herrschaft. Aus der türkischen Perspektive stellt sich noch natürlich ein ganz anderes, viel drängenderes Problem da.



Welches?

Das kurdische Problem. Der syrische Präsident hat sich ja schon damit abfinden müssen, den im Nordosten seines Staatsgebietes lebenden Kurden, deren Anzahl etwa zwei Millionen beträgt, eine ähnliche Souveränität einzuräumen wie den Kurden im benachbarten Irak. In Ankara sieht man diese Entwicklung mit wachsender Besorgnis, da diese souveränen Territorien natürlich auch eine Sogwirkung ausüben könnten, auf die Kurden in der Türkei. In letzter Zeit gab es ja in den türkischen Kurdengebieten wieder verstärkte Aktivitäten der PKK, die ja schon als besiegt galt.



Im Westen fordert man den Abgang Assads.

Im Westen hat man anscheinend noch immer nichts aus dem sogenannten "Arabischen Frühling" gelernt. Wahrscheinlich träumt man immer noch von einer automatischen Hinwendung zu Demokratie und Marktwirtschaft in Syrien, wenn Assad erst einmal weg ist. Das Gegenteil wird der Fall sein. Ein nicht unerheblicher Anteil der Aufständischen in Syrien ist auf einen radikalen Islamismus eingeschworen, der von den reaktionären Golf-Monarchien Saudi-Arabien und Katar unterstützt wird, der sich letztendlich auch gegen den Westen richten wird. Man ignoriert dabei gerne, dass mit dem Syrien Bashar al-Assads der letzte säkulare Staat in der Region untergehen würde, mit fatalen Folgen für die Christen und andere religiöse Minderheiten dort.

Was ja eigentlich nicht im Sinne des Westens sein dürfte?

Nein, mit Sicherheit nicht. Die Amerikaner, aber auch die Europäer, haben Saudi-Arabien maßlos aufgerüstet, obwohl das dortige Wahabiten-Regime die fanatischen Salafisten weltweit finanziert und unterstützt.

Der Westen versucht so den iranischen Einfluss zurückzudrängen.

Ja, das ist der eigentliche Grund für die westliche Frontstellung gegen Assad, nicht etwa der Wunsch Freiheit und Menschenrechte in Syrien zu etablieren.

Wenn es dem Westen damit ernst wäre, hätte er ja bei seinem Verbündeten Saudi-Arabien diese Prinzipien einfordern können, wo die Zustände diesbezüglich weit schlimmer sind als im Iran. Auch die saudische Okkupation Bahreins hat im Westen nicht einmal ein Stirnrunzeln verursacht. Im Gegenteil, die Bundesrepublik stattete Riad mit Panzern aus.

Bei diesem Konflikt geht es darum, die Iraner davon abzuhalten, eine Verbindung zum Mittelmeer zu erhalten, über den Irak, Syrien bis hin zum Libanon. Deshalb soll Assad verschwinden.

In Ihrem neuen Buch "Die Welt
aus den Fugen", kritisieren Sie nicht nur die enge Bindung des Westens an Saudi-Arabien, sondern auch die Konfrontation mit dem Iran. Hat Israel nicht gute Gründe den Iran zu fürchten, beispielsweise aufgrund der iranischen Bombe?

Der israelische Generalstab steht dem Drängen gewisser Politiker in Jerusalem, zum Präventivschlag gegen Teheran auszuholen, mit großer Skepsis gegenüber.

Wenn der Iran über die Atombombe verfügen sollte, wird er nicht Tel Aviv bombardieren. In so einem Moment würden Israel und die USA den Iran nuklear auslöschen - so suizidal ist man in Teheran nicht veranlagt. Die Atombombe des Iran soll eine Waffe der Abschreckung sein. Übrigens verfügt der Iran auch über eine wirksame konventionelle Streitmacht, deren Potenzial man nicht unterschätzen sollte.

Kommen wir noch einmal auf Syrien zu sprechen. Wie geht es dort weiter? Wird Assad sich halten können?

Es wäre verwegen, zum jetzigen Zeitpunkt, irgendwelche Prognosen zu erstellen. Möglicherweise steht in Syrien noch ein langer, blutiger Bürgerkrieg bevor, wie seinerzeit im Libanon. Inzwischen ist man sich aber auch bei der CIA bewusst, dass die "Freie Syrische Armee" zunehmend von radikalen Jihadisten und Al-Kaida-Gruppen infiltriert wird. Sollten diese Elemente sich der syrischen Chemiewaffen bemächtigen, über die das Assad-Regime verfügt, würde der internationale Terrorismus eine neue, schreckliche Dimension annehmen. Die Gegner Assads dürften dann viel gefährlicher werden, als es das Baath-Regime von Damaskus jemals war.

Porträt

Peter Scholl-Latour ist einer der bekanntesten Journalisten und Publizisten Deutschlands. Für seine Berichte bereiste er Amerika, Afrika, den Vorderen Orient und große Teile Südost- und Ostasiens. Bekannt wurde er für seine Arbeit als Sonderkorrespondent in Vietnam, für seine Interviews mit Ayatollah Chomeini.