Arbeitszeitforscher rät zu sparsamem Einsatz von Arbeitstagen mit mehr als zehn Stunden.
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Wien. Die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ rudern beim Arbeitszeitgesetz mit dem 12-Stunden-Tag und einer 60-Stunden-Woche zurück - aber nicht ganz. Es gibt nur ein Zugeständnis: Die "Freiwilligkeit" soll im Gesetzestext dezidiert festgeschrieben werden. Das bestätigte am Donnerstag ÖVP-Klubobmann August Wöginger der "Wiener Zeitung". Bei den Überstundenzuschlägen hingegen hört die Freiwilligkeit wieder auf. "Überstundenzuschläge gibt es nur, wenn die Mehrarbeit angeordnet wird", sagt Wöginger. Das ist bei Gleitzeit in der Regel nicht der Fall.
In einer Aussendung hielten Wöginger und Walter Rosenkranz, geschäftsführender Klubobmann der FPÖ, fest, dass der Acht-Stunden-Tag bleibe: "Wer freiwillig mehr arbeiten möchte, wird das in Zukunft können und somit entweder mehr Freizeit oder mehr Geld bekommen." Die Klubobleute richteten zudem einen Aufruf an alle Interessenvertreter, "sachlich zu bleiben, keinen falschen Jubel und keine Unwahrheiten zu verbreiten". Versichert wurde, dass noch die Stellungnahmen aus dem sogenannten Begutachtungsverfahren, das ÖVP und FPÖ selbst eingeleitet haben, berücksichtigt werden.
Das genügt den Arbeitnehmervertretern aber nicht, denn "Freiwilligkeit" sei relativ. Wenn ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bittet, mehrmals länger als zehn Stunden zu arbeiten, und der Arbeitnehmer mehrmals ablehnt, wird er möglicherweise bald seinen Job los sein. Das gibt auch der Arbeits- und Sozialrechtler Wolfgang Mazal zu bedenken, dann stehe rasch eine Änderungskündigung im Raum. Dagegen wird aber fast nie geklagt.
12-Stunden-Tag gibt es bereits
Ex-ÖGB-Präsident Erich Foglar hat zuletzt den Standpunkt des ÖGB so erklärt: Er sei für eine Flexibilisierung, wenn gleichzeitig die Arbeitszeit verkürzt werde. "Je höher die gewünschte Flexibilität ist, desto niedriger muss die Gesamtarbeitszeit sein. Eine Vereinbarung über drei mal 12 Stunden und vier Tage frei unterschreibe ich sofort", sagte er zuletzt im Interview mit der "Wiener Zeitung". Auch die Liste Pilz fordert jetzt ein Ende der 12-Stunden-Tag-Debatte, dafür die Einführung einer 35-Stunden-Woche.
Im Übrigen wird der ÖGB nicht müde, darauf zu verweisen, dass schon jetzt unter bestimmten Voraussetzungen ein 12-Stunden-Tag möglich ist: bei erhöhtem Arbeitsbedarf, zur Verhinderung eines unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Nachteils und bei Beschränkung auf acht Wochen pro Anlassfall, der dreimal im Jahr sein kann - also beschränkt auf 24 Wochen im Jahr.
Der Leitende Sekretär des ÖGB, Bernhard Achitz, fordert, dass die vorgeschlagenen Änderungen des Arbeitszeitgesetzes (AZG) und des Arbeitsruhegesetzes (ARG) über den Sommer überarbeitet werden.
Die Forderungen des ÖGB: Die Mitbestimmung der Betriebsräte müsse bleiben. Derzeit ist nämlich für eine temporäre Ausweitung der Arbeitszeit auf 12 Stunden eine Betriebsvereinbarung notwendig. Außerdem brauche es eine Klarstellung, für wen die Arbeitszeitgesetze überhaupt gelten sollten. Laut Regierungsentwurf soll für Führungskräfte bis zur dritten Ebene keine Höchstarbeitszeit mehr gelten. Dies würde dann auch stellvertretende Abteilungsleiter oder Filialleiter in Supermärkten betreffen, sagt Achitz.
ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian und vida-Vorsitzender Roman Hebenstreit hatten am Mittwoch bei einer Betriebsrätekonferenz der vida in Wien zum "massiven Widerstand" gegen eine Arbeitszeitausweitung aufgerufen.
ÖGB rüstet sich für Betriebsversammlungen
Der Vorsitzende der Produktionsgewerkschaft Pro-Ge und der sozialdemokratischen Gewerkschafter Rainer Wimmer droht den Arbeitgebern unverhohlen: "Auf alle Fälle wird die Gangart verschärft." "Alles, was uns die Arbeitgeber über die Regierung wegnehmen, werden wir uns über die KV-Runde zurückholen", sagte Wimmer.
Ab Freitag rollen die Konferenzen der Personalvertreter unter anderem in Oberösterreich, Kärnten und Salzburg so richtig an. Tausende Personen werden insgesamt erwartet. Montag folgen dann Betriebsversammlungen, wenig überraschend während der Arbeitszeit.
"Die SPÖ wird mit allen Mitteln gegen dieses Gesetz vorgehen", kündigte auch SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder am Donnerstag an. Das Mittel der Wahl ist vorerst eine Sondersitzung im Nationalrat. Aus Schieders Sicht haben "Konzernkanzler (Bundeskanzler Sebastian) Kurz und Arbeiterverräter (Vizekanzler Heinz-Christian) Strache" das Gesetz auf Wunsch von Wirtschaft und Industrie eingebracht. KTM-Chef Stefan Pierer habe im Wahlkampf gut 400.000 Euro gespendet "und wünscht sich im Gegenzug, zwölf Stunden sollten möglich sein", so der SPÖ-Klubobmann. Auch verwies Schieder auf ein Strache-Zitat als Oppositionspolitiker, in dem er den 12-Stunden-Tag als "asoziale, leistungsfeindliche Idee" bezeichnet hatte.
Arbeitszeitforscher nimmt Gesetzesentwurf unter die Lupe
Die Arbeitszeitgesellschaft Ximes - unter Federführung von Johannes Gärtner - hat den Initiativantrag von ÖVP und FPÖ vom 15. Juni aus betriebswirtschaftlicher und arbeitswissenschaftlicher Sicht betrachtet. Ximes berät Betriebe, meist gemeinsam mit Betriebsräten, bei der Schaffung von Arbeitszeitmodellen.
Zu den vorgesehenen langen Arbeitstagen und intensiven Arbeitswochen (12-Stunden-Tage, 60-Stunden-Wochen) heißt es: Damit wäre es in der Industrie möglich, einen Zweischichtbetrieb (16 Stunden Betriebszeit am Tag) vorübergehend auf einen Schichtbetrieb mit 12-stündigen Früh- und Nachtschichten umzustellen. "Die Anlagennutzung steigt, Flexibilität nimmt enorm zu. In vielen Situationen sind die Überstundenzuschläge keine starke Belastung im Verhältnis zu den Vorteilen. Die Beschäftigten verdienen mehr oder können sich in auftragsschwächeren Zeiten Zeitausgleich nehmen." Allerdings: Unter günstigen Voraussetzungen sei eine solche Belastung "ein paar Wochen" vertretbar. In vielen Fällen sei aber bereits eine Woche arbeitswissenschaftlich als sehr schlecht zu beurteilen.
Mathematisch würde die neue Regelung bis zu 13 Wochen mit 60 Stunden zulassen, bis das EU-Limit von durchschnittlich 48 Stunden in 17 Wochen erreicht sei, allerdings scheinen dem Arbeitszeitforscher Johannes Gärtner, Obmann der Arbeitszeitgesellschaft und Wirtschaftsinformatiker, schon die bisher möglichen acht Wochen in Folge höchst problematisch. "Wenn es die höheren Spitzen schon braucht, dann muss es zeitnah eine Erholungsphase geben", sagt Gärtner zur "Wiener Zeitung".
Außerdem, so der Arbeitszeitforscher, würden die bisherigen Regeln zur Deckelung von Überstunden deutlich erweitert. Waren bisher maximal 320 Überstunden im Jahr zulässig, wären es nach der Novelle 416 Überstunden pro Jahr. Eine durchaus auch derzeit schon sichtbare Gefahr sei, so die Einschätzung von Gärtner, dass sich Überstunden als Normalkultur im Unternehmen etablieren.
Für viele Beschäftigte und Unternehmen, deren Arbeit hohe Spitzen hat, seien die neuen Gleitzeitmöglichkeiten auf 12 Stunden eine Erleichterung, die Haftung der Geschäftsführung würde reduziert. Aber auch hier sei eine "ungewollte Überlastung" möglich. Ximes rät zu kürzeren Zeiträumen als 17 Wochen und zu einer beschränkteren Zahl so langer Arbeitstage.
Was die Möglichkeit betrifft, dass viermal pro Jahr Sonntagsarbeit möglich sein soll, auch wenn ansonsten die Wochenendruhe einzuhalten ist, sei diese ein Riesengewinn für Betriebe, andererseits bei Zeitausgleich keine große Belastung für die Arbeitnehmer, sagt Gärtner.
Verkürzung der Ruhezeit in Gastronomie ist gefährlich
Ganz anders hält er die künftige Verkürzung der täglichen Ruhezeit bei geteiltem Dienst auf mindestens acht Stunden im Gastgewerbe für gefährlich. Denn bei drei Spitzenzeiten von 7 bis 9 Uhr, dann von 11 bis 14 Uhr und von 18 bis 23 Uhr blieben nach Abzug der Wegzeit, der Zeit für Hygiene und zum Einschlafen nur vier bis fünf Stunden Schlaf.
Das sei schon problematisch, wenn die Arbeitnehmer im Hotel wohnen, aber es sei alarmierend, wenn das - wie im Gesetzesantrag vorgesehen - zum Normalfall wird. "Das ist gesundheitsgefährdend und potenziert die Unfallgefahr", warnt der Arbeitszeitforscher.