Niedrigere Tempolimits sind unverzichtbar für einen effektiven Klima- und Umweltschutz. Sie sind auch ein wichtiger Beitrag zu Treibstoffeinsparung und Verkehrssicherheit.
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Folgt man den wissenschaftlichen Analysen der Entwicklungen in den Bereichen des Klima- und Umweltschutzes, der Verkehrssicherheit und der Treibstoffeinsparung in Österreich, so zeigt sich, dass diese politischen Ziele mit den vorgesehenen Maßnahmen des Verkehrs- und Mobilitätssektors nicht erreicht werden können.
So haben die Treibhausgasemissionen im Jahr 2020 das Ziel von 21,7 Millionen Tonnen um rund 2 Millionen Tonnen (10 Prozent) überschritten; für 2030 wird sogar eine Überschreitung um rund 7 Millionen Tonnen (46 Prozent) prognostiziert und für 2040 um rund 13 Millionen Tonnen. Im jüngsten Verkehrssicherheitsprogramm konnten die Ziele bis 2020 nicht erreicht werden. Die Österreichische Verkehrssicherheitsstrategie 2021 bis 2030 sieht eine Halbierung der Anzahl der Getöteten und Schwerverletzten vor und lässt mit den angedeuteten Maßnahmen ein ähnliches Zieldefizit erwarten.
Ein Vergleich mit Norwegen zeigt, dass die Tötungswahrscheinlichkeit je zurückgelegtem Personenkilometer in Österreich um das Dreifache höher liegt. Für die derzeit sich entwickelnde Treibstoffkrise gibt es noch keine Lösungsvorschläge. Es besteht also ein großes Handlungsdefizit, wobei festzuhalten ist, dass eine Senkung der Tempolimits im österreichischen, aber auch im deutschen Regierungsprogramm trotz ihrer nachgewiesenen hohen Wirksamkeit ausgeschlossen wurde.
Österreichs Tempolimits sind im internationalen Vergleich hoch
Eine vertiefende faktenorientierte Betrachtung der Fahrzeuggeschwindigkeiten beziehungsweise der Tempolimits im Straßenverkehr ermöglich einen essenziellen Beitrag zur Zielerfüllung dieser Probleme. Denn die Fahrzeuggeschwindigkeit, als Ergebnis von Tempolimits und Überwachungsintensität, hat großen Einfluss auf Klima, Umwelt, Energieverbrauch und Verkehrssicherheit sowie eine Reihe anderer Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung. Gleichzeitig kann hiermit ein essenzieller Beitrag zur derzeit besonders aktuellen Problematik der Einsparung von fossiler Energie geleistet werden. Darüber hinaus können diese Maßnahmen in kürzester Zeit wirksam werden - braucht man dazu doch bloß eine Gesetzesänderung der Straßenverkehrsverordnung, ein paar Verordnungen, einige Verkehrszeichen sowie eine professionelle Informations- und Öffentlichkeitsarbeit zur Bewusstseinsbildung und eine wirksame Überwachung.
Die Bestandsanalyse zeigt, dass im internationalen Vergleich die österreichischen Tempolimits im Spitzenbereich liegen. Dies gilt vor allem für die Autobahnen und Schnellstraßen mit 130 km/h sowie für die übrigen Freilandstraßen mit 100 km/h. Viele andere Länder schreiben deutlich geringere Tempolimits für diese Straßenkategorien vor und weisen ein weitaus höheres Verkehrssicherheitsniveau auf.
Dies gilt auch für die städtischen Bereiche, in denen flächendeckendes Tempo 30 - Ausnahme: Vorrangstraßen - noch zu wenig umgesetzt wurde. Dabei sind diese 30 km/h in der Regel mit der Vorrangregel "Rechts vor Links" kombiniert; dadurch wird der Fahrmodus an den Kreuzungen mit weniger Bremsen und Beschleunigen ausgeglichener, was sich nachweislich in Summe auf eine zwar nicht große, aber doch spürbare Reduktion des Treibstoffverbrauchs und der CO2-Emissionen auswirkt. In der Stadt Graz wurde 30 Jahren flächendeckendes Tempo 30 erfolgreich eingeführt. Heute gilt es auf beinahe 80 Prozent der Straßennetzlänge, und die Zustimmung dafür liegt bei fast 80 Prozent der Bevölkerung.
Der Nordwesten Europas als Vorbild bei den Strafen
Die Tatsache, dass in Österreich die Schärfe und Intensität der Überwachung und Bestrafung von Geschwindigkeitsdelikten viel geringer ist, wirkt sich auch negativ auf die Verkehrssicherheit aus. Beides führt zu negativen Auswirkungen hinsichtlich Klima, Umwelt, Verkehrssicherheit und fossilem Energieverbrauch aufgrund des überhöhten Geschwindigkeitsniveaus auf Österreichs Straßen.
Aus einer breit angelegten Systemanalyse der Wechselbeziehungen von Klima, Umwelt, Energie und Verkehrssicherheit mit den beobachteten Fahrzeuggeschwindigkeiten wurde von den beiden Autoren ein Konzept für die Neuordnung der Geschwindigkeiten im österreichischen Straßennetz entwickelt: ein neuer Ansatz für höchstzulässige Geschwindigkeiten im Straßenverkehr in Österreich aus synergetischer, nachhaltiger Sicht (FSV-Schriftenreihe, Heft 25, August 2022). Das Ergebnis wurde einer intensiven Diskussion mit dem Arbeitsausschuss GV10 Verkehrspolitik der österreichischen Forschungsgesellschaft Straße-Schiene-Verkehr unterzogen.
Die Funktion der Straße bestimmt die Geschwindigkeit
Die Kernmaßnahmen umfassen eine Reduktion der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 auf 100 km/h, auf Freilandstraßen von 100 auf 80 km/h und auf Straßen ohne Vorrang im Ortsgebiet von 50 auf 30 km/h sowie eine Verstärkung der Überwachung und eine Erhöhung der Strafen bei Überschreitung auf das Niveau der nordwestlichen Länder Europas, die bei der Verkehrssicherheit im Spitzenfeld liegen. Dieser neue Ansatz zur systemischen Neuordnung der Tempolimits im österreichischen Straßenverkehr kann über die Neudefinition der zulässigen Geschwindigkeiten in der Straßenverkehrsordnung und den einschlägigen Richtlinien und Verordnungen sowie eine Intensivierung der Überwachung erfolgen. Das Straßennetz ist entsprechend den unterschiedlichen Funktionen in Vorrangstraßen mit Tempo 50 mit vorherrschender Verbindungsfunktion und in niederrangige Straßen mit Tempo 30 mit vorherrschender Aufenthaltsfunktion in sogenannten Umweltzonen und der Vorrangregel "Rechts vor Links" zu gliedern. So werden vor allem die Aufenthalts- und Wohnqualität sowie die nicht-motorisierte Mobilität gefördert und die Verkehrssicherheit signifikant angehoben. Im Vergleich zum Referenzjahr 2019 sind die Ergebnisse ermutigend:
Reduktion der klimarelevanten CO2-Emissionen um rund 10 Prozent oder 2,4 Millionen Tonnen pro Jahr.
Einsparung an fossilem Treibstoff um rund 10 Prozent oder 0,9 Millionen Tonnen pro Jahr.
Das Tempolimit stellt kostenwirksamkeitsmäßig die volkswirtschaftlich effektivste der untersuchten Maßnahme für den Klimaschutz dar.
Reduktion der Stickstoffoxide um rund 46 Prozent oder 36.000 Tonnen pro Jahr und 39 Prozent im Jahr 2030.
Rückgang der im Straßenverkehr Getöteten um 28 Prozent; das sind 116 Getötete pro Jahr weniger. Rückgang der Verletzten um 19 Prozent oder 7.000 Personen pro Jahr. Hierbei ist die größte absolute Anzahl der Reduktion von Getöteten und Verletzen auf Freilandstraßen zu erwarten.
Die Verkehrsnachfrage bei Pkw und leichten Nutzfahrzeuge nimmt gemessen in Verkehrsleistung (zurückgelegte Fahrzeugkilometer pro Jahr) um 2,7 Prozent ab.
Zunahme der Fahrzeit um 3,2 Minuten von 17,4 auf 20,6 Minuten pro Fahrt, im Mittel über alle Pkw und leichten Nutzfahrzeuge gerechnet. Diese Fahrzeitzunahme stellt einen gewissen Wohlfahrtsverlust dar, dem jedoch ein großer allgemeiner gesellschaftlicher Nutzen gegenübersteht.
Die Leistungsfähigkeit der Straßen steigt; Staus gehen spürbar zurück.
Um mit diesem Konzept Erfolg zu erzielen, bedarf es vor der Umsetzung einer professionellen Bewusstseinsbildungs- und Informationskampagne, insbesondere für politische Entscheidungsträger sowie einer breiten gesellschaftlichen Diskussion mit allen Stakeholdern. Eine interessante Möglichkeit wäre, das Tempokonzept in Form eines kontrollierten Experiments zeitlimitiert für ein Jahr einzuführen. Nach einer wissenschaftlichen Evaluierung könnte eine definitive Einführung erst danach verkehrspolitisch fixiert werden.