Die Anzahl pflegender Angehöriger ist enorm groß. Trotzdem bleibt die Pflegekarenz eine seltene Ausnahme.
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Pflegekarenz ist eine gute Sache", stellt Claudia Sengeis fest. "Aber für Eltern, die ihre Kinder über Jahrzehnte pflegen, ist sie viel zu kurz." Und: "Was machst du danach? Dann stehst du wieder vor der großen Frage: Was tun?" Die 51-jährige, frühere Sekretärin in Teilzeit, und ihr 27-jähriger, mehrfach behinderter Sohn sind in Wien per Mindestsicherung "abgesichert": "Wir sind froh und dankbar, dass wir die bekommen. Dadurch kommen wir relativ gut über die Runden." Heute. Die "Armutsfalle später" in der Pension ist Sengeis bewusst.
Pflegekarenzgeld bezogen 2021 3.478 Personen, jeweils die Hälfte während einer Familienhospizkarenz (1.807) und einer Pflegekarenz (1.802), 106 in Pflegeteilzeit. Insgesamt waren es 273 pflegende Angehörige mehr als 2020. Bei gut 800.000 pflegenden Angehörigen sind das wenige. Selbst wenn man "nur" das Zehntel, dass die Pflege alleine bewältigt und noch nicht in Pension ist, betrachtet, wären es 80.000 mögliche Bezugsberechtigte.
Zum einen liegt es daran, dass die Pflegekarenz, obwohl seit 2014 möglich, vielen unbekannt ist. Zum anderen aber lassen die von ÖVP und Grünen im Regierungsprogramm angekündigten Reparaturen des Modells auf sich warten. Wie zu allen anderen Fragen rund um die Pflege auch, heißt es aus dem Sozialministerium: "Aktuell laufen intensive Gespräche zur Pflegereform - angesichts der komplexen Kompetenzverteilung unter Einbindung von Koalitionspartner, Ländern und Stakeholdern."
Pflegekarenz nur als Einstieg in die Langzeitpflege
Auf 44 Seiten erklärt das Sozialministerium die Pflegekarenz, -teilzeit und -hospizkarenz. Kurz gesagt ist die Karenz bei der Pflege und Betreuung von nahen Angehörigen mit Pflegegeldbezug ab der Stufe 3 (oder 1 bei Pflegepersonen mit Demenz) für ein bis drei Monate möglich. Geld gibt es in der Höhe der Arbeitlosenunterstützung. Sofern sich die Pflegestufe verschlechtert, ist eine einmalige Verlängerung der Karenz möglich. Auch ein weiterer Angehöriger kann seine Erwerbsarbeit ebenfalls - etwa ein zweites Elternteil bei Kindern - unterbrechen.
Selbst in der Theorie wäre das für Claudia Sengeis nach der Geburt ihres Sohnes nicht praktikabel gewesen: Das Arbeitslosengeld aus der Teilzeit damals war zu gering, zum Vater gab es schon bald "keinen Kontakt mehr". Im Durchschnitt erhielten die Pflegekarenzbeziehenden im Dezember des Vorjahres 1.063,50 Euro netto, der Staat bezahlt auch Kranken- und Pensionsversicherung. Fast drei Viertel, 72 Prozent, sind Frauen. Anders als für andere Menschen im Mindestsicherung- und Sozialhilfe-Bezug bezahlt der Staat für Sengeis Pensionsbeiträge ein. Auch dafür muss man "nur" einen Antrag stellen, die "Wiener Zeitung" berichtete.
Für Selbständige gibt es die Pflegekarenz bislang nicht, das wollten ÖVP und Grüne "im Sinne der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf" ändern. Damit mehr Pflegeteilzeit machen, sollte bei Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern "Bewusstsein für die Lebenssituation" von pflegenden Angehörigen geworben werden - aus beiden Plänen wurde noch nichts.
Für Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger, wäre aber ein "Ausweiten der Zeit am wichtigsten". Denn: "Wir wissen, dass die Pflege auch im Alter mittlerweile bereits geschätzte sieben Jahre dauert." Eine kurze Pflegekarenz sei also nur eine Unterstützung, "um die erste schwierige Phase einer Langzeitpflege gut vorzubereiten". Notwendig sei außerdem die Ausweitung des Rechtsanspruchs auf Pflegekarenz von derzeit vier Wochen auf die vollen drei Monate im Erstbezug.
Burgenland: Anstellungen nur ohne Profi-Unterstützung
Im Burgenland gibt es seit Ende 2019 Anstellungen von 20 Stunden für Angehörige von Pflegepersonen in Stufe 3, 30 Stunden in Stufe 4 und 40 in einer darüber. Für die Organisation über die Pflege Service Burgenland GmbH bezahlte das Land laut im heurigen Jänner veröffentlichten Landesrechnungshofbericht 1,5 Millionen Euro. Von den Personalkosten für die insgesamt 222 angestellten Angehörigen finanzierte das Land bis Ende 2020 3,1 Millionen Euro und die Pflegebedürftigen als Selbstbehalt eine weitere Million Euro. Als durchschnittliche Gehälter vermerkte der Rechnungshof 1.204,30 Euro brutto bei 20 Stunden, 1.806,45 Euro bei 30 und 2.408,60 Euro bei 40 Stunden - Letzteres entspricht 1.740 Euro netto.
Für die Wienerin Claudia Sengeis wäre das burgenländische Modell trotzdem keine gute Alternative zur Mindestsicherung: "Da müsste mein Sohn mein Gehalt mitfinanzieren und er dürfte in keine Tagesbetreuung mehr gehen", sagt sie. Da ist er aktuell von Montag bis Donnerstag jeden Vormittag. "Für ihn ist das seine Arbeit, da hat er einen geregelten Tagesablauf und soziale Kontakte. Die braucht er als junger Mann, und für mich ist das eine Auszeit."
Ein Pflegeheim käme für ihren Sohn jedenfalls nicht in Frage, er habe auch autistische Züge: "Er spricht zwar normalerweise mit mir. Aber wenn ihn der Schuh drückt, kann er das selbst bei mir nicht sagen, wo". Sie hofft also, dass Wien die Mindestsicherung nicht auf das schlechtere Sozialhilfe-Niveau anderer Bundesländer senkt. Denn, nicht nur die Studie der Armutskonferenz zeigte kürzlich, dass sich die Situation durch die Umstellung auf Sozialhilfe für ein Viertel der Betroffenen verbesserte, ein Viertel gleich blieb, für die Hälfte aber verschlechterte. Auch Sengeis sagt: "Was ich da gehört habe, das kann man pflegenden Menschen nicht antun." Aber das ist eine andere Geschichte.