Bayerns Christsoziale liegen unter 30 Prozent. Denn im Freistaat färben bundesdeutsche Wahltrends immer stärker ab.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Eine katastrophale Umfrage folgt der nächsten für die konservative Union in Deutschland. Die Demoskopen aller renommierten Institute sehen CDU und CSU nur auf Platz zwei hinter den Sozialdemokraten, dabei sind es nur knapp mehr als zwei Wochen bis zur Bundestagswahl.
Nicht nur die CDU befindet sich im Tief, es hat auch ihre bayerische Schwester CSU vollauf erfasst. Im Freistaat, dem schwarzen Kernland schlechthin, kommt die CSU derzeit nur auf 28 Prozent. Bei der Bundestagswahl vor vier Jahren erreichte sie dort knapp 39 Prozent - was als Debakel wahrgenommen wurde und letztlich zum Rücktritt des damaligen Vorsitzenden Horst Seehofer führte.
Dieses Schicksal hat sein Nachfolger Markus Söder nicht zu befürchten. Er stellt sich beim am Freitag startenden Parteitag der Wiederwahl. Die Schuld am drohenden Debakel in Bayern und bundesweit wird in erster Linie Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet zugeschrieben. "Der Merkel-Bonus verwandelt sich derzeit zu einem Laschet-Malus", sagt Michael Weigl mit Blick auf die vielen Fehltritte des CDU-Chefs. "Aber das Problem ist tiefgreifender: Die CSU ist in den vergangenen 15 bis 20 Jahren immer stärker vom Bundestrend abhängig geworden. Eine schlechte Performance dort wirkt sich sofort auf Bayern aus", erklärt der Politikwissenschafter an der Universität Passau.
Weniger Stammwähler
Mit Verzögerung kommen auch im Freistaat jene Trends an, die bundesweit gelten: Parteibindungen lösen sich auf, Stammwählerschaft nehmen ab, Wähler treffen ihre Entscheidungen immer kurzfristiger und auch ländliche Gebiete sind nicht mehr so konservativ wie einst. Die Zeiten, in denen die CSU bei Bundestagswahlen mehr als 50 Prozent erreicht hat, fast ein halbes Jahrhundert lang, sind unwiederbringlich vorbei.
In diesen volatilen Verhältnissen können die Sozialdemokraten in Bayern innerhalb von zwei Monaten ihren Stimmanteil verdoppeln. Die jetzigen 18 Prozent sind zwar noch immer nicht berauschend, aber auch im Süden der Bundesrepublik zieht das Nordlicht Olaf Scholz. Den SPD-Spitzenkandidaten würden vier von zehn Befragten direkt zum Kanzler wählen, mehr als doppelt so viele wie Laschet, ergab eine Umfrage des Bayerischen Rundfunks. Zwar ist die Frage der Kanzlerwahl eine rein hypothetische, in Deutschland können Wähler nur bei Kandidaten im Wahlkreis und den Parteilisten ihr Kreuz machen. Aber auch in Bayern zeigt sich, dass es für die Union und Laschet steil bergab geht, seit der CDU-Chef im Juli am Ort der Flutkatastrophe feixend gesichtet wurde.
In diesem Stimmungsumfeld kann Söder kaum gegensteuern. "Er kann keine Akzente setzen, ohne dass es als Angriff auf den eigenen Spitzenkandidaten wahrgenommen wird", analysiert Michael Weigl. Kleine Spitzen habe aber Söder gesetzt, um Laschet anzutreiben; so sprach der CSU-Chef davon, mit einem Wahlkampf im "Schlafwagen" könne die Union nicht gewinnen.
Nun will die CSU gegensteuern, indem sie die "Bayern-Karte" zieht, wie Generalsekretär Markus Blume ankündigte. Demnach könnten nur die Christsozialen Bayern bundesweit und in Europa Gehör verschaffen. "Diese Erzählung sticht aber weniger als früher", gibt Politologe Weigl zu bedenken. Er sieht in der Warnung vor einem "Linksrutsch" durch eine rot-grüne Regierung unter Beteiligung der Linkspartei den "letzten Trumpf" der Union. Auch wenn die CDU bereits 1994 mit der berühmten Kampagne gegen "rote Socken" vor der SED-Nachfolgepartei warnte, dieses Motiv zieht im konservativen Lager noch immer. Zumal sich Sozialdemokrat Scholz offen hält, mit der Linkspartei zu koalieren. Zudem versucht Söder, von der Union zur FDP abgewanderte Sympathisanten zurückzugewinnen. Er unterstellt, die Liberalen könnten bei einer rot-grün-gelben Koalition kein Gegengewicht zu den beiden Mitte-links-Parteien bilden.
Auch Kritik an Söder
Und wenn die CSU unter 30 Prozent landet? "Söder ist zwar als Parteichef unangefochten. Aber es gibt Stimmen in der CSU, wonach der Ministerpräsident mit seinem Öko-Modernisierungskurs zu weit geht. Die Partei unterscheidet sich zu wenig von der Merkel-CDU. Unzufriedenheit herrscht bei manchen auch mit Söders Politikstil. Er treibt die Partei vor sich her, Dialog und Einbindung kommen zu kurz", fasst Weigl die Kritik in der CSU zusammen.
Symbolpolitisch täten sich die Christsozialen bei hohen Stimmverlusten noch schwerer als bisher, ihren Alleinvertretungsanspruch für Bayern zu reklamieren. Noch dazu, fällt die CSU in Bayern unter rund 32 Prozent, läge sie unter 5 Prozent bundesweit - der Hürde für den Einzug in den Bundestag. Das würde die Partei, die so großen Wert auf Symbolik legt, sehr schmerzen.
Dank der Direktmandate in den Wahlkreisen wird die CSU jedoch ganz sicher im Parlament in Berlin vertreten sein. Schafft die Union doch noch Platz eins und stellt den Kanzler, erwartet Parteienforscher Weigl eine gestärkte CSU, die dann überproportional zum Wahlergebnis beigetragen hätte. "Und wenn die Konservativen in die Opposition müssen, wird die CSU versuchen, die Führungsrolle innerhalb der Union einzunehmen", prognostiziert Weigl. Bereits bei der Frage der Kanzlerkandidatur hatte Söder die Mehrheit der Fraktion von CDU und CSU hinter sich. Die CDU-Spitze verhinderte aber Söder und ebnete Laschet den Weg. Eine Entscheidung, die sich bitter rächen könnte.