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"Lassen wir die Kirche doch im Dorf"

Von Karl Leban

Reflexionen
Klien: "Die Versicherungswirtschaft hat kein wirkliches Problem gehabt." Foto: Uniqa

Jetziger Plan zu Solvency II würde den Kunden und Aktionären schaden. | Zu strenge Regeln hätten schlechtere Renditen zur Folge. | Plädoyer für eine Reform der Rechnungslegung. | "Wiener Zeitung": Im Zusammenhang mit den geplanten neuen Eigenkapitalvorschriften für Versicherer - Stichwort Solvency II - hat Allianz-Chef Michael Diekmann erst kürzlich vor überzogenen Ansätzen gewarnt: Eine zu strenge Regulierung würde die Branche unnötig schwächen. Welchen Standpunkt vertritt der Generaldirektor der Uniqa?


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Konstantin Klien: Bei Solvency II geht es um mehr Sicherheit und eine risikoadäquate Eigenkapitalausstattung. Jeder Versicherer in Europa bekennt sich dazu, jeder will das. Nur: All das muss auch auf das Geschäftsmodell der Branche zugeschnitten werden. Unser Modell ist völlig anders als das der Banken.

Wo hakt es in der Debatte um das neue Regelwerk, das 2012 kommen soll?

Die künftigen Eigenkapitalvorschriften dürfen nicht von einer Änderung der Bilanzierungsvorschriften getrennt sein - vor allem was etwa Bewertungen auf der Aktivseite der Bilanz betrifft. Denn sonst wirkt die Rechnungslegung im Fall einer Krise tendenziell brandbeschleunigend und fordert eine unnotwendig massive Erhöhung des Eigenkapitals.

Und das wollen Sie keinesfalls . . .

Die Ursprungsidee von Solvency II war, nicht mehr Kapital vorzuschreiben, sondern es risikogerechter zu verteilen. So steht es auch in allen Grundsatzdokumenten. Was jetzt gemacht wird: Man versucht, die Versicherer für einen Teil der Finanzkrise verantwortlich zu machen. Die Versicherungswirtschaft hat aber kein wirkliches Problem gehabt und mit Ausnahme der niederländischen ING und Aegon nirgendwo in Europa Staatshilfe gebraucht. Die Versicherer sind nie Teil der Finanzkrise gewesen. Am Rande waren sie zwar von Wertpapierabschreibungen betroffen, aber das war alles aus der bestehenden Substanz verkraftbar.

Bis August 2010 müssen die Parameter zu Solvency II fixiert sein. Die jetzige Diskussion läuft demnach in eine völlig falsche Richtung?

Die Diskussion wird leider nur einseitig und punktuell geführt. "Mehr Eigenkapital" - das klingt in Zeiten wie diesen populär, ist aber ein Zeichen dafür, dass das Problem nicht verstanden wurde.

Und was ist das Problem konkret?

Das Geschäftsmodell der Versicherer ist ein langfristiges und braucht daher auch keine Spielregeln, die so sind, als ob unsere Verbindlichkeiten alle täglich fällig wären - so wie Sparbücher. Das ist der Fehler in der Rechnungslegung, wie sie derzeit gehandhabt wird. Und der muss korrigiert werden, bevor man die Eigenkapitalregeln ändert.

Habe ich in der Bilanz hauptsächlich täglich fällige Verbindlichkeiten, muss ich natürlich auf der Aktivseite auch täglich fällig bewerten, um das zu bedecken. Wenn ich aber - und in der Versicherungswirtschaft ist das so - etwa in der Lebensversicherung Verpflichtungen mit Laufzeiten von zehn Jahren und mehr habe, muss das auch bei der Bewertung der Aktiva berücksichtigt werden. Dann kann ich mit weniger Eigenkapitalunterlegung auch mehr Rendite für den Kunden erzielen. Andernfalls nehme ich ihm die Ertragschancen. Verlangt man jetzt in überzogener Weise viel mehr Eigenkapital, wird es schwieriger, vernünftige Renditen zu erwirtschaften.

Das würde dann auch die Aktionäre der jeweiligen Versicherer treffen.

Richtig. Wenn mehr Eigenkapital gehalten werden muss, kann die gleiche Rendite nur mit mehr Risiko erreicht werden. Das kann weder im Interesse des Kunden noch des Aktionärs sein. Dass man letztlich dazu gezwungen wird, ein höheres Risiko einzugehen, kann auch nicht im Sinne des Gesetzgebers sein - mitten in oder am Ende einer Finanzkrise.

Was sollte auf europäischer Ebene nun geschehen?

Gesetzgeber und Regulator sollten sich die spezifischen Mechanismen unserer Branche nochmals genau anschauen. Lassen wir die Kirche doch im Dorf.

Versicherer brauchen aktivseitig nicht so viel Eigenkapitalunterlegung. Das Kapital muss vielmehr risikogerechter verteilt werden, und man muss gleichzeitig die Bilanzierungsvorschriften anpassen, die im Krisenfall - wie gesagt - oft brandbeschleunigend wirken. Wir alle sind für neue Solvabilitätsregeln, aber für solche, die das Geschäftsmodell Versicherung berücksichtigen und über deren Auswirkungen man Bescheid weiß.

In Deutschland hat die Versicherungsaufsicht bereits erkannt, dass bei der Einführung so weitreichender Regeln Qualität vor Geschwindigkeit geht und eine Überforderung der Branche durch inadäquate und übereilt eingeführte Normen niemandem hilft. Deshalb spricht man sich dort auch schon dafür aus, die Einführung möglicherweise zu verschieben.

Wie sieht in Ihrem Haus die Eigenmittelausstattung aktuell aus?

Wir haben über viele Jahre eine vernünftige Relation zur Überdeckung - gleichbleibend zwischen 140 und 160 Prozent. International gilt das als ein sehr guter Wert.

Konstantin Klien (58) steht seit Anfang 2002 an der Vorstandsspitze des zu Raiffeisen gehörenden Uniqa-Konzerns. Davor war Klien elf Jahre Generaldirektor der AXA Colonia Österreich. Der gebürtige Niederösterreicher gilt als einer der mächtigsten Versicherungschefs des Landes.

"Gesetzgeber und Regulator sollten sich die spezifischen Mechanismen unserer Branche nochmals genau anschauen."