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Lassen wir unsere Nachbarn jetzt nicht im Stich!

Von Michael Landau

Gastkommentare
Michael Landau ist Präsident der Caritas Europa und Österreich.
© Caritas

In der Krise um die Ukraine geht es nicht nur um Großmachtpolitik, es geht vor allem und ganz konkret um Menschen - und die benötigen dringend unsere Hilfe.


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Bregenz ist von Wien nicht weiter entfernt als die ukrainische Grenze. Die Ukraine ist ein Nachbarland und unsere Nachbarn brauchen jetzt dringend unsere Hilfe - von Spenderinnen und Spendern, aber auch von der österreichischen Bundesregierung.

Seit ich für die Caritas tätig und im Einsatz bin, habe ich die Ukraine schon oft besucht und auch dieser Tage werde ich erneut nach Kiew aufbrechen. Das Land gehört seit Mitte der 90er Jahre zu den Schwerpunktländern der Caritas der Erzdiözese Wien. Ich war in Kiew und Charkiw, in Odessa und Kramatorsk und zuletzt auch immer wieder im Osten, in der sogenannten Pufferzone - entlang jener knapp 420 Kilometer langen Kontaktlinie, die sich seit knapp acht Jahren im Krieg befindet.

Es ist ein Krieg, der jetzt einmal mehr droht, in eine neue heiße Phase zu treten. Mehr als 100.000 Soldatinnen und Soldaten sind auf beiden Seiten der ukrainischen Grenze aufmarschiert. Auf internationaler Bühne findet vor aller Augen eine verbale Eskalation statt. Es ist von "politischen Interessen" und von einem "Poker" die Rede, von der Ukraine "als Spielball der Großmächte". Doch klar ist: Es geht hier weder um ein Spiel, schon gar nicht um Pokerei und auch nicht um Interessen - es geht zuallererst und ganz konkret um Menschen. Und das darf jetzt unter keinen Umständen in Vergessenheit geraten.

Kinder besonders betroffen

Die Berichte, die uns von unseren Kolleginnen und Kollegen täglich erreichen, sind zutiefst besorgniserregend. Denn das zweitgrößte Land Europas gerät in Folge von Krieg und Pandemie zunehmend schwer ins Wanken. Die humanitäre Lage spitzt sich zu. Bereits jetzt sind 2,9 Millionen Menschen in der Ostukraine auf humanitäre Hilfe angewiesen. Es mangelt an Trinkwasser, an medizinischer Versorgung und an Lebensmitteln. Der Krieg hat bisher bereits mehr als 13.000 Menschen das Leben gekostet und knapp 1,5 Millionen Menschen wurden zu Flüchtlingen im eigenen Land.

Dabei sind es besonders Kinder, die betroffen sind. 510.000 Kinder leben allein in den Gebieten Donezk und Luhansk. Für sie ist ein Aufwachsen inmitten von Krieg zur Normalität geworden. In den Schulklassen hängen Schilder, die vor Minen warnen. Viele Kinder leben in Dörfern, die schon jetzt mindestens einmal pro Monat beschossen werden. Sie müssen regelmäßig in improvisierte Schutzbunker flüchten. Panikattacken und Albträume machen ihnen schwer zu schaffen. Die Kinderarmut hat sich im ganzen Land, vor allem aber im Donbas stark verschärft.

Gleichzeitig setzt Corona dem Land immer stärker zu. Überfüllte Spitäler, schlechte medizinische Versorgung und verheerende soziale Folgen sind die Konsequenz. Wer in ein Krankenhaus kommt, muss Bettwäsche und Essen vielerorts selber mitbringen und die Medikamente selbst organisieren und bezahlen.

Die Caritas ist seit knapp 30 Jahren vor Ort im Einsatz und seit Ausbruch des Krieges hat die Caritas mehr als 800.000 Menschen mit ihrer Hilfe erreicht. Die Projekte befinden sich im ganzen Land - entlang der 420 Kilometer langen Kontaktlinie im Osten des Landes ebenso wie in allen anderen Landesteilen. Die Hilfe beruht auf der Versorgung mit Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs, psychosozialer Unterstützung, häuslicher Pflege in schwer zugänglichen Gebieten, sauberem Wasser, Hilfe beim Lebensunterhalt und Schutzräumen in Tageszentren für Kinder. Es geht um basale und ganz elementare Hilfe im täglichen Überlebenskampf, dem sich viele Ukrainerinnen und Ukrainer ausgesetzt sehen.

Bilaterale Hilfe

Es gilt jetzt, unsere Hilfe auszubauen. Die österreichische Bundesregierung hat hier in der Vergangenheit mehrfach konkret Engagement gezeigt. Doch aus Sicht der Caritas ist klar: Wir brauchen jetzt eine weitere Erhöhung des Auslandskatastrophenfonds und eine Erhöhung der Mittel der bilateralen Hilfe - gerade jetzt auch für die Ukraine. Denn diese Mittel würden es uns und anderen ermöglichen, die Hilfe etwa in der Pufferzone weiter aufrechtzuerhalten und auszubauen.

Es ist nicht die Aufgabe der Caritas, die politische Dimension eines Konflikts zu bewerten. Es ist auch nicht unsere Aufgabe, Partei für die eine oder andere Seite zu ergreifen. Aber es ist unsere ureigene Aufgabe, an der Seite jener Menschen zu stehen, die unter den Folgen von Krieg und Pandemie leiden. Es ist unser Job, auf die humanitäre Katastrophe, die dieser Konflikt zur Folge hat, aufmerksam zu machen. Dieser Konflikt und die Not der Menschen dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Wir dürfen unsere Nachbarn jetzt nicht im Stich lassen!