Viel spricht dafür, dass die ärgsten Feinde der Politiker in den eigenen Reihen sitzen. Die Bürger sollten sich diesen Jagdtrieb für die eigenen Interessen zunutze machen.
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Man liest das Abschlusskapitel der politischen Karriere des Ernst Strasser und - wenn man es nicht schon immer gewusst haben will - schüttelt den Kopf.
Diejenigen, die vorgeben zu wissen, wie der Hase in der Politik läuft, fragen sich, wie man nur so ungeschickt vorgehen kann. Der große Rest verzweifelt am moralischen Zustand jenes Personals, das vorgibt, für durch und mit dem Volk zu handeln.
Wie fast immer bei solchen Anlässen stellt sich die Frage, ob die erbarmungswürdige Momentaufnahme eine persönliche Charakter- oder eine Systemfrage darstellt. Angenehmer für die Politiker und Parteien wäre es natürlich, diese Angelegenheit auf die persönliche Ebene zu verfrachten, sie zum individuellen Charakterdefizit der Strassers dieser Welt zu reduzieren. In diesem Fall wäre die Sache mit dem Rücktritt von allen Funktionen und der Aufarbeitung durch die Gerichte erledigt.
Viel, zu viel deutet jedoch daraufhin, dass die Causa ein typisches Symptom der strukturellen Bedingungen ist. Gegen Missbrauch durch Einzeltäter ist kein System gefeit, was aber, wenn ein soziales Biotop Korruption zu Lasten der Allgemeinheit geradezu anzieht? Dann gerät die Legitimität unserer Demokratie grundsätzlich in Gefahr.
Dazu eine möglicherweise riskante, weil historisch romantisierende These: Die letzten Jahrzehnte standen im Zeichen einer umfassenden Ökonomisierung der gesamten Gesellschaft. Die - zweifellos höchst idealisierte - Idee eines "Dienstes an der Gesellschaft" kam endgültig aus der Mode.
Belege dafür finden sich aus den letzten Jahren in ausnahmslos allen Parteien - die Lust an der Ich-AG scheint unauslöschlich in jeden von uns tief eingebrannt. Alles andere wäre auch schlicht hoffnungslos weltfremd angesichts einer Welt um uns herum, die ökonomischen Erfolg mit sozialer Anerkennung weitgehend gleichsetzt. Die wenigen öffentlich abgehandelten Ausnahmen bestätigen nur die Regel.
Nachdem man gegen gesellschaftliche Trends nur schwer, wenn überhaupt, ankämpfen kann, muss der Hebel bei der Politik selbst angesetzt werden. Typen wie Strasser gedeihen besonders gut in Biotopen, die von einer Anything-goes-Mentalität durchsetzt sind. Dies ist gemeinhin - wenngleich keineswegs ausschließlich - dort ausgeprägt, wo absolute Machtverhältnisse über einen langen Zeitraum bestehen. Der Kern von Demokratie jenseits aller ideologischen Unterschiede besteht jedoch im Wechsel der Machtträger. Nur dies gewährleistet ein Maximum an Kontrolle getreu der Maxime, wonach ein Politiker dem Politiker ein Wolf ist. Gut so.
Und die Macht darüber, wer die Bürger repräsentiert, soll gefälligst auch bei den Bürgern liegen. Das heißt nichts anderes als eine Entmachtung der Parteien bei der Listenerstellung vor Wahlen.