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"Lasst euch nicht erpressen"

Von Alexia Weiss

Politik
"Ich appelliere an alle Frauen: Schaut, dass ihr einen Get bekommt", sagten Irit Shillor und Judith Edelman-Green bei der 6. internationalen Bet Debora Tagung.
© Jenis

Jüdisches Frauennetzwerk Bet Debora tagt erstmals in Wien.


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Wien. Wie akzeptiert sind Rabbinerinnen in Europa? Wo liegen die Tücken für jüdische Frauen, wenn der Mann nicht in eine Scheidung einwilligt? Zum sechsten Mal tagt derzeit das europäische jüdische Frauennetzwerk Bet Debora - zum ersten Mal allerdings in Wien. Bis heute, Freitag, dreht sich bei der Konferenz zum Generalthema "Tikkun Olam - Der Beitrag jüdischer Frauen für eine bessere Welt" alles um die weibliche Perspektive des Judentums.

Das Eröffnungspodium bot einen für Österreich ungewohnten Anblick: mit Irit Shillor und Judith Edelman-Green gaben zwei Rabbinerinnen Einblick in ihr berufliches Selbstverständnis. Frauen in diesem Beruf werden in der Orthodoxie nicht akzeptiert und sind daher nur im liberalen Judentum anzutreffen. Die Wiener Reformgemeinde Or Chadasch (Neues Licht) wurde zwar in der Vergangenheit bereits von Rabbinerinnen betreut, derzeit kümmert sich mit Walter Rothschild aber ein Mann um die Mitglieder. Alle anderen Wiener Synagogen werden nach orthodoxem Ritus geführt.

Was Shillor und Edelman-Green vereint: Sie übten zunächst andere Berufe aus. Shillor hat Mathematik und Physik studiert und danach an einigen Universitäten unterrichtet und mit hochbegabten Kindern gearbeitet. In England kam sie in Kontakt mit dem Reformjudentum. Sie leitete zuerst als Laienmitglied Gottesdienste, absolvierte dann ein Rabbinatsstudium. 2002 wurde sie ordiniert. Sie betreut derzeit die Harlow Jewish Community (Essex) sowie die Jüdische Gemeinde Hameln.

Edelman-Green gründete und leitete schließlich zehn Jahre lang ein Israel-weites Programm, das tausenden von Kindern mit besonderem Förderbedarf eine Bar oder Bat Mitzwa ermöglichte. 2006 begann sie ihr Rabbinatsstudium, 2009 wurde sie ordiniert. Zurückweisung habe sie bisher nicht erfahren, erzählt sie, ganz im Gegenteil. Als sie während einer Zugfahrt im Siddur, also dem Gebetbuch, las, sei sie gefragt worden, warum sie das tue - sie sehe ja nicht orthodox aus. "Ich habe geantwortet, dass ich mich auf die Rabbinatsprüfung vorbereite. Sofort wollte jemand von mir gesegnet werden. Das passiert mir immer wieder."

Was fehle, sei eine weibliche jüdische Theologie

Worüber sich die Rabbinerinnen einig sind: Es fehle - jedenfalls im liberalen Judentum - nicht an Akzeptanz. Was aber fehle, sei eine weibliche jüdische Theologie. Was ebenfalls fehlt, ist die Lösung eines für viele Jüdinnen weitreichenden Problems: von ihrem Mann die Einwilligung zur religiösen Scheidung zu erhalten. Die international tätige Frauenrechtsanwältin Sharon Shenhav nimmt sich seit vielen Jahren solcher Fälle an. Unterschieden werden muss zwischen der Situation in Israel und in der Diaspora.

Die Möglichkeit der Scheidung gibt es seit 5000 Jahren. Während zunächst der Mann alleine über eine Trennung entscheiden konnte, ist heute die Zustimmung beider Partner nötig. Vollzogen wird die Scheidung mit der Übergabe des Get (Scheidungsbriefes) durch den Mann an seine Frau.

Und genau hier ist heute auch der wunde Punkt: Die zivile Scheidung spricht der Frau nicht selten die Hälfte des Vermögens zu. Hier sehen Männer einen Hebel zur "Erpressung", wie es Shenhav formuliert. Der Get wird an die Bedingung geknüpft, dass die Frau auf alles verzichtet - oder dem Mann sogar etwas zahlt. Während allerdings der Mann keine Nachteile hat, wenn er ohne formelle Scheidung erneut jüdisch heiratet (da in früheren Zeiten die Verheiratung eines Mannes mit mehreren Frauen durchaus vorgesehen war), ist dies der Frau nicht möglich.

Will sie nun erneut einen jüdischen Mann heiraten, ist keine religiöse Trauung nach orthodoxem Ritus erlaubt. Kinder aus dieser nächsten Verbindung gelten dann als Momser, als in einem Ehebruch entstanden. Ihnen ist es über zehn Generationen verboten, Juden zu heiraten. Shenhav ficht viele solcher Fälle vor Gerichten aus. Oft gelingt es doch, den Mann zu einer Einwilligung zur religiösen Scheidung zu bewegen. Besonders ist die Situation in Israel. Hier ist für jüdische Paare nur eine religiöse Hochzeit vorgesehen - und damit auch nur eine religiöse Scheidung.

In USA werden 50 Prozent der Ehen geschieden

Dieses Problem werde übrigens größer und größer, warnt die Juristin. In den USA würden inzwischen auch schon an die 50 Prozent der jüdischen Ehen geschieden. Die meisten Frauen in Reformgemeinden würden nicht an einen Get denken.

Doch wenn dann zum Beispiel der Sohn nicht die orthodoxe Frau heiraten kann, in die er sich verliebt hat, weil er als Momser gilt, kommt das böse Erwachen. "Ich appelliere daher an alle Frauen: Schaut, dass ihr einen Get bekommt! Aber lasst euch nicht erpressen!"