Videokonferenzen statt persönlicher Gespräche sind nun die Norm: Auch der EU-Gipfel geht virtuell über die Bühne.
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Normalerweise wären am heutigen Donnerstag die Limousinen vorgefahren. Auf dem Schuman-Platz im Brüsseler EU-Viertel, im Hof des Ratsgebäudes mit der eiförmigen Konstruktion im Inneren würden im Minutentakt die 27 Staats- und Regierungschefs der EU aussteigen, den Gang entlanggehen, wo sich hinter Absperrbändern die Journalisten mit ihren Mikrofonen und Kameras drängen und um Wortspenden rufen. Manche Politiker würden stehenbleiben und ein paar Sätze dazu sagen, was sie sich von der Sitzung erwarten. Andere würden nur grüßend vorbeigehen, um sich in den Saal zu begeben, wo sie mit ihren Amtskollegen in den darauffolgenden Stunden und auch noch am nächsten Tag zusammensitzen würden.
Normalerweise wäre für den heutigen Donnerstag und den morgigen Freitag, der reguläre Frühlingsgipfel der EU-Staats- und Regierungschefs angesetzt. Doch nun überschattet die Corona-Krise alles, und persönliche Zusammenkünfte sind abgesagt. Jetzt sind Videokonferenzen der Normalfall.
So begegnen die Minister- und Staatspräsidenten auch am Donnerstag einander lediglich virtuell. Das wurde bei einem Sondertreffen - ebenfalls per Videokonferenz - in der Vorwoche vereinbart. Auch die Themen sind seit damals festgelegt. Es gehe dabei um vier Prioritäten: Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus, Versorgung mit medizinischen Geräten, Stärkung der Forschung, Antworten auf die sozio-ökonomischen Auswirkungen der Pandemie. Diese Folgen zu minimieren, wird laut dem deutschen Regierungssprecher ein Hauptpunkt der Beratungen sein. Geprüft wird derzeit, den Euro-Rettungsfonds ESM einzusetzen oder - von Deutschland abgelehnte - Corona-Bonds einzuführen.
Technische Hürden
Ist jedoch Regieren via Internet möglich? Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat es ausprobiert: Sie begab sich vor einigen Tagen vorsorglich in häusliche Quarantäne und leitete von dort aus Sitzungen ihres Kabinetts. Auch in anderen Ländern mussten Regierungsmitglieder sich damit begnügen, ihre Kollegen lediglich am Telefon zu hören oder auf dem Bildschirm zu sehen.
Mag dies für die Geschäfte in den jeweiligen Staaten mühsam sein, so ist es das auf EU-Ebene erst recht. Denn auch wenn die Treffen der Minister oder der Regierungschefs nicht selten einen Mangel an handfesten Beschlüssen aufweisen, dienen sie doch der Annäherung der Positionen. In persönlichen Gesprächen in großer Runde oder in kleineren Zweier-, Dreier-, Vierergruppen können die Politiker sich absprechen, untereinander um Verständnis für die Situation im eigenen Land werben oder auch streiten, ohne dass dies sofort an die Öffentlichkeit gelangen würde. Es sind oft Trippelschritte, die die Regierungsvertreter bei solchen Zusammenkünften setzen - aber eben oft aufeinander zu, in Richtung eines Kompromisses.
Bei diesem Prozedere kommt nun Sand ins Getriebe. Denn zu den sowieso zähen Verhandlungen gesellen sich technische Schwierigkeiten. In Videokonferenzen kann die Verbindung abreißen, die Ton- oder Bildqualität schwanken, es an Dolmetschern fehlen. "Es ist eine Katastrophe", kommentierte es in der Vorwoche der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nach Beratungen mit Ministern aus Asien und Europa. Einmal sei das Bild weg, einmal die Stimme, berichtete er Journalisten - und gestand, dass er Telefongespräche bevorzuge.
Abstimmung per E-Mail
Dennoch finden die Sitzungen des Rates, des Gremiums der Mitgliedstaaten, weiterhin statt. Digital trafen einander in den vergangenen Tagen die Außen- und Europaminister, die Leiter der Finanz- sowie der Landwirtschaftsressorts.
Die Beschlussfassung soll darunter nicht übermäßig leiden. Daher hat Kroatien, das derzeit den EU-Vorsitz innehat, eine Vorgehensweise dafür vorgeschlagen. Nach den Ministersitzungen soll es ein Umlaufverfahren geben, bei denen Entscheidungen schriftlich fixiert werden.
Auf Fernabstimmungen haben jetzt auch die EU-Abgeordneten umgestellt. Ein elektronisches Votum kommt erstmals an diesem Donnerstag zur Anwendung, bei einer außerordentlichen Plenarsitzung des EU-Parlaments. An dieser können alle Mandatare physisch teilnehmen, wenn sie sich derzeit in Brüssel aufhalten. Andere aber können sich von zu Hause oder ihren Heimatländern aus an den Debatten beteiligen - und mitstimmen. Dafür erhalten die Abgeordneten per E-Mail den Abstimmungszettel. Diesen sollen sie ausfüllen und unterzeichnen, dann einscannen oder fotografieren und wieder per Mail zurückschicken.
Schon Anfang März hatte sich die EU-Volksvertretung mit Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus befasst. Die Plenarsitzungen, die meist in Straßburg stattfinden, wurden alle nach Brüssel verlegt und verkürzt. Das Parlament müsse aber offenbleiben, erklärte dessen Präsident David Sassoli und ließ es in seiner Begründung nicht an Pathos fehlen: "Ein Virus kann die Demokratie nicht zu Fall bringen." Der Italiener selbst hatte sich vor zwei Wochen nach einem Aufenthalt in seiner Heimat in Quarantäne in seine Brüsseler Wohnung begeben.