Wer etwas verändern will, darf nicht auf Politiker warten, erklärt der Stadtplaner Jason Roberts.
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Barcelona. Die Wiener Stadtregierung kann visionär und mutig sein. Das zeigte sie beim Bau der über 20 Kilometer langen Donauinsel in den Siebzigern und Achtzigern. Auf Großprojekte, die die Lebensqualität der Stadt verbessern, warten die Wiener seither aber vergeblich. Jason Roberts kennt diese Situation aus seiner Heimatstadt Dallas. Er beschloss daher, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Nicht länger auf die Stadt warten, sondern selber machen, lautet seither seine Devise. Die "Wiener Zeitung" hat mit dem Stadtplaner beim Smart City Weltkongress in Barcelona gesprochen.
"Wiener Zeitung": Städte sollen grüner, verkehrsberuhigter und bürgerfreundlicher werden. Darüber besteht Einigkeit in den Rathäusern. Geht es an die Umsetzung, bleibt es hingegen nur bei wenigen Vorzeigeprojekten. In Wien ist das etwa die Mariahilfer Straße, in New York die Fußgängerzone auf dem Times Square. Was muss getan werden, um einen echten Umschwung einzuleiten?Jason Roberts: Städtepolitiker müssen sich mehr zutrauen. Sie dürfen nicht immer Angst davor haben, dass die Menschen enttäuscht sein könnten und dass sie von ihnen nicht mehr gewählt werden. Sie müssen sich im Klaren sein, dass Dinge auch funktionieren können. Das eine Vorzeigeprojekt ist natürlich zu wenig. Mit mehreren halbherzigen Projekten wird man die Bürger aber auch nicht glücklich machen.
Was meinen Sie damit?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Nur Fahrradwege zu bauen und sich zu wünschen, dass die Bürger ihr Auto stehen lassen, wird nicht klappen. Es geht um die Qualität. Fahrradwege müssen gut mit anderen Routen vernetzt sein, eine gewisse Breite haben und sollten nicht entlang von parkenden Autos verlaufen, wo jederzeit die Türe aufgehen kann.
Auch in Ihrer Heimatstadt Dallas waren die handelnden Politiker sehr passiv. Was passierte dann?
Ein paar Nachbarn und ich schlossen sich zusammen und sagten: Lasst uns eine Woche lang alle Gesetze brechen und den öffentlichen Raum schöner gestalten und die Straße auf unsere Bedürfnisse ausrichten. Wir malten Zebrastreifen, stellten Bänke auf, haben Cafés eröffnet, schufen kleine Oasen. Die Nachbarschaft hat es sofort angenommen.
Wurden Sie dafür bestraft?
Nein. Die Politiker sahen, dass es funktioniert und stellten sich hinter das Projekt.
Würde man in Wien die Nachbarschaft etwa auf Kosten von Parkplätzen neu gestalten, hätte man sofort Probleme mit Bürgern, die auf ihr Auto bestehen. Wie können diese Menschen ins Boot geholt werden?
Menschen haben oft Angst vor Veränderung und wollen nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Die Projekte müssen daher immer temporär sein, für ein Wochenende, für ein paar Tage. Während dieser Zeit kann man schauen, ob es funktioniert. Die Bürger können es austesten. Wenn es ihnen gefällt, werden sie das Projekt unterstützen.
Münchens Oberbürgermeister traute sich zuletzt aus der Deckung. Nachdem er erkannt hatte, wie versmogt seine Stadt ist, forderte ein Verbot von Diesel-Autos. Kann ein Politiker damit Erfolg haben?
Man muss als Politiker eine klare Vision davon haben, wie das Leben in der Stadt aussehen soll. Kopenhagen macht das ganz gut. In einer Kampagne zeigte die Stadtregierung eine alte Frau auf dem Fahrrad, der Hund im Fahrradkorb auf dem Lenker, ein paar Baguette in der Tasche auf dem Gepäcksträger. Wer wünscht sich nicht, so alt zu werden? Man muss den Bürgern klarmachen, wie sie jetzt leben und wie ein Leben aussehen könnte, wenn sie alt sind. Damit das Bild tatsächlich Realität werden kann, muss die Stadt aber dafür sorgen, dass es ums Eck der Frau eine Hundezone und einen Bäcker gibt und dass die Radwege sicher sind.
Um echte Veränderungen in einer Stadt umzusetzen, ist eine Menge Geld notwendig. Wer soll das bezahlen?
Das Geld muss nicht nur von der Stadt kommen. Nachbarschaftsprojekte können auch durch Crowdfunding finanziert werden. Menschen, die ihr Geld dafür ausgeben, werden dann besser auf ihre Umgebung aufpassen. Es geht aber nicht nur um Großprojekte. Es sind Kleinigkeiten, wie etwa die Ermöglichung von kleinen Geschäften im Grätzel. Das kann der Plattenladen sein, den du liebst, die Bar, wo du gerne abhängst. Großkonzerne wie Starbucks hätten in solchen Nachbarschaften kaum Chancen auf Erfolg. Wenn Joe aus der Nachbarschaft einen guten Kaffee anbietet, werden die Menschen lieber zu Joe gehen, als zu Starbucks.
Die Verantwortung für Veränderung liegt also mehr bei den Bürgern als bei den Politikern?
Wir müssen raus aus den Rathäusern, aus den Parteizentralen. Politiker wollen streiten, polarisieren. Sie haben Unmengen an Argumenten einstudiert, die sie anbringen wollen. In einer Nachbarschaft besteht hingegen mehr Interesse aneinander, an den Menschen, die im selben Viertel wohnen. Man will zusammenkommen, zuhören, sich kennenlernen und nicht in erster Linie streiten. In einer gut funktionierenden Nachbarschaft gibt es niemanden mehr, der alleine sein muss.
Zur Person
Jason Roberts
ist Begründer des Better Block Projekts in Dallas. Roberts und sein Team organisieren mittlerweile Revitalisierungen von Stadtteilen auf der ganzen Welt. Sie erhielten dafür den Champions of Change Award vom damaligen US-Präsidenten Barack Obama und bespielten einen Terminal bei der Biennale in Venedig. www.betterblock.org