1823 ist lange her. Damals hatte sich US-Präsident Monroe jeglichen Einfluss der Alten Welt in der Neuen verboten und damit eine Doktrin begründet, die Lateinamerika zum Hinterhof der USA erklärte. Heute scheint dank Osama bin Laden und Irak das US-Interesse erlahmt. Der Süden sieht darin die Chance auf einen neuerlichen Emanzipationsversuch. Auch Europa hat seit einigen Jahren Lateinamerika für sich neu entdeckt: Im Mai 2006 wird - während der österreichischen EU-Präsidentschaft - in Wien ein Gipfeltreffen stattfinden.
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George W. Bush meinte während seiner ersten Bewerbung um die U.S.-Präsidentschaft: "Should I become President, I will look South, not as an afterthought, but as a fundamental commitment to my presidency." Die ernüchternde Realität vermochte nicht ganz mit diesem vollmundigen Versprechen mithalten: In den vergangenen vier Jahren hatten die USA andere Sorgen, als sich dem Schicksal Lateinamerikas zu widmen. Die Gefahren eines islamistischen Terrorismus, der Irak und der daraus resultierende vorübergehende Bruch im transatlantischen Verhältnis hatten Priorität.
Dennoch beeinflussten die Ereignisse von 9/11 auch die US-Beziehungen zu Lateinamerika. Washington hat die Gefahr einer Ansammlung von so genannter "Failing States" in ihrem Süden erkannt und seine Politik entsprechend justiert. Die ausgedehnte Grenze im Süden ist kaum zu kontrollieren - und daher mehr als nur durchlässig für allerlei Menschen mit schlechten Absichten. Die USA haben entsprechend reagiert und ihren Grenzschutz verstärkt. Auch der Kampf gegen den Drogenhandel wurde massiv intensiviert, ist doch gerade hier die enge Verschränkung zwischen politisch motiviertem Terrorismus und organisierter Kriminalität offensichtlich. Durch eine Reihe von Abkommen hat man sich der Verbindlichkeit der jeweiligen Regierungen im Kampf gegen diese Bedrohung versichert.
Eine Sonderrolle nimmt nach wie vor Kuba ein. Die harte Haltung der USA gegenüber dem Karibikstaat wurde nach 9/11 noch verstärkt. Kuba gilt bereits seit Clinton als "Schurkenstaat". Unter Bush bekämpft man Kuba nun auch aktiv, da es gemeinsam neben Iran, Nordkorea, Syrien und Sudan (Libyen konnte hier in jüngster Zeit sein Image verbessern) als ein "state sponsor of terrorism" gilt. Damit gilt Kuba als potentielle Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA.
Europäische Interessen in Lateinamerika?
Gibt es überhaupt - neben den traditionell engen Beziehungen Spaniens und Portugals zu ihren ehemaligen Kolonien - eine europäische Lateinamerikapolitik? Sicher ist, dass die EU im Gegensatz zu den USA keine kohärente strategische Politik gegenüber den lateinamerikanischen Staaten verfolgt. Zwar forderte das Europäische Parlament 2001 den Rat in einer Resolution auf, eine solche zu definieren, nur geschah bislang wenig in dieser Hinsicht. Die Schwerpunkte des europäischen Engagements variieren zwischen Entwicklungshilfe, der Drogenproblematik, Naturkatastrophen und sozialpolitischen Fragen. Dabei unternimmt die EU immer wieder Versuche, in dieser Region Fuss zu fassen. Gipfeltreffen finden mittlerweile alle zwei Jahr statt - das nächste Mal im Mai 2006 in Wien. Lateinamerika ist dementsprechend auch einer der Schwerpunkte der Österreichischen EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2006.
Obwohl die EU in Lateinamerika mit einer Vielzahl verschiedener Kooperationsstrukturen konfrontiert ist, sind die drei wesentlichen Säulen Wirtschaftskooperation, politischer Dialog und Entwicklungshilfe kaum koordiniert. Eine strategische Partnerschaft im wirtschaftlichen Bereich gilt vielen Beobachtern als illusionär, da die Fähigkeiten der Partner zu unterschiedlich sind und auch langfristig einer Einbahnstraße gleichen würden. Vielversprechender ist im Vergleich dazu der intensive Dialog im politischen und kulturellen Bereich. Historische und kulturelle Gemeinsamkeiten schaffen hier ein Kooperationspotential, das andere Bereiche bei langfristiger Ausrichtung mitziehen könnte. Es müsste nur auch tatsächlich genutzt werden.