Wie Deutschland und Kanada die Potenziale der Zuwanderer nützen. | Geringe Beschäftigung trotz hoher Qualifikation. | Wien. Über qualifizierte Zuwanderung wird viel geredet. Doch von "Schlüsselarbeitskräften" verlangt Österreich ein Mindesteinkommen, das junge Uni-Assistenten niemals verdienen können. Wenn jemand als Ehepartner oder Flüchtling kommt, werden seine Abschlüsse nicht anerkannt.
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Die Migrationsforschung im deutschsprachigem Raum hat sich noch wenig um Migranten, die mit hohem formalem Bildungsabschluss einwandern, gekümmert. Das will die groß angelegte deutsche Studie "Kulturelles Kapital in der Migration" ändern, deren Ergebnisse im gleichnamigen Band vorliegen. Von 2005 bis 2009 hat eine internationale Forschergruppe mehr als 200 Gespräche mit Einwandern der ersten und zweiten Generation geführt, und zwar in Deutschland, dem klassischen Einwanderungsland Kanada, Großbritannien und in der Türkei. Finanziert hat das ambitionierte Projekt die Volkswagen-Stiftung.
Die Studie beruht auf dem vom französischen Soziologen Pierre Bourdieu formulierten Konzept des "kulturellen Kapitals" - gemeint ist die bisher erworbene Bildung und das Know-how über die Ansammlung neues Wissens. Familien geben kulturelles Kapital an die Kinder weiter, das diese als Erwachsene meist in ökonomisches Kapital (sprich: Einkommen) umwandeln. Wie ist die Situation, wenn kulturelles Kapital im Ausland erworben wurde? Die Autoren schneiden verschiedene Aspekte an - mit unterschiedlichem Erkenntnisgewinn.
Berufshindernisse in Kanada
Der Mitherausgeber Arnd-Michael Nohl liefert Überraschendes zum "Musterland" Kanada. Dort wird zwar die Einwanderung nach mitgebrachter Qualifikation gesteuert, doch die Verwertung des Wissens stößt auf Hindernisse. Für kanadische Arbeitgeber zählt nur inländische Berufserfahrung. Ein südafrikanischer Manager musste daher die Karriereleiter ein zweites Mal erklimmen.
In Deutschland ist in Bereichen wie der Medizin die deutsche Staatsbürgerschaft Bedingung für eine vollwertige Berufserlaubnis. Ein iranischer Arzt kritisiert, dass sein Wissen auch nach jahrelanger Beschäftigung abgeprüft wird, nur weil er einen außereuropäischen Abschluss hat. Nicht gut kommen die deutschen Arbeitsagenturen weg: Statt mitgebrachte Qualifikationen der Migranten zu aktivieren, werden diese in nicht-akademische Ausbildungen für eine schnellere Beschäftigung geschickt.
Am verheerendsten für die Berufslaufbahn der Migranten ist der Ausschluss vom Arbeitsmarkt. Das gilt in Österreich für Asylwerber: Sie haben überhaupt keine Arbeitserlaubnis. Asylwerbern in Deutschland ist eine Arbeitserlaubnis erst nach einem Jahr legalem Aufenthalt möglich, und das nur, wenn eine Stelle nicht mit Inländern besetzt werden kann. In den von der Soziologin Niki von Hausen vorgebrachten Fällen führt der Zeitverlust von mehreren Jahren dazu, dass die Qualifikationen entwertet werden. Mit steigendem Alter sinken die Chancen, diese Zeitverluste jemals wieder aufzuholen.
Der Statusverlust durch Migration wirkt sich teils auch auf die zweite Generation aus. Die Erziehungswissenschafterin Regina Soremski schildert auch Fälle von Eltern, die sogar eine Übersiedlung in Kauf nehmen, um ihrem Kind den Besuch einer bestimmten Schule zu ermöglichen. Ein anderer Beitrag wiederum beschreibt, wie Einwanderer über soziale Kontakte den Einstieg in den Arbeitsmarkt meistern.
Die aufwendig zusammengetragenen Migrationsgeschichten können den Thema sicher mehr Leben einhauchen als Statistiken. Unklar bleibt trotz der hohen Zahl an Interviews, wie repräsentativ die Lebensverläufe sind, ein Gesamtbild fehlt. Praktiker aus Politik und Wirtschaft werden wohl wenig Freude damit haben, dazu haben die Autoren zu viel Bourdieu gelesen, was sich in der komplizierten Sprache bemerkbar macht. Schade. Gerade Entscheidungsträger hierzulande hätten wissenschaftliche Inputs in Sachen Migration dringend nötig.