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Laufen für die Freiheit des Sohnes

Von WZ-Korrespondentin Karen Naundorf

Politik

Gustavo Moncayo wurde in seiner Heimat zum Helden. | Sohn wurde vor zehn Jahren von der Guerilla entführt. | Nach Auftritt im Europaparlament will der Lehrer nach Paris marschieren. | Bogotá. Fast hätte Gustavo Moncayo sich gekreuzigt. So groß war sein Schmerz, als sein Sohn Pablo Emilio vor fast zehn Jahren von Guerillas entführt wurde. Und auch die Wut, dass die Regierung sich weigerte, mit den Entführern zu verhandeln. Von der Kreuzigung hielten ihn seine Töchter ab. Also entschied sich Gustavo vor ein paar Monaten zu laufen, in Ketten bis in die kolumbianische Hauptstadt Bogotá, mehr als 1200 Kilometer von seinem Heimatort entfernt. Seine Forderung: Die Regierung solle Gefangene austauschen. Guerilleros im Staatsgefängnis gegen Entführte der Guerilla. Seine Wanderung sorgte so sehr für Aufsehen, dass er vom Europäischen Parlament eine Einladung nach Brüssel bekommen hat, wo er am Dienstag vor den Abgeordneten gesprochen hat. Und auch in Europa will der in Kolumbien mittlerweile zum Volkshelden gewordene Moncayo laufen. Von Brüssel nach Paris, für die Freiheit seines Sohnes.


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Als dieser entführt wurde, war er gerade 18 Jahre alt. Er wurde zum Wehrdienst einberufen und in die Berge an der Grenze zu Ekuador geschickt. Mitglieder der linken Guerillabewegung "Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia" (Farc) verschleppten ihn mit 17 anderen Soldaten am 21. Dezember 1997. Mindestens zehn Soldaten wurden dabei getötet.

Moncayo weiß immerhin, dass sein Sohn lebt - irgendwo im dichten Urwald im Süden des Landes. Das letzte Lebenszeichen gab es vor ein paar Wochen. Ein Video, ausgestrahlt vom arabischen TV-Sender al-Jazeera: Pablo Emilio sieht schmal aus, die Haare sind kurz.

"Vorwärts, Lehrer!"

Um Aufmerksamkeit auf seinen Protest zu lenken, legte sich Moncayo vor elf Monaten selbst in Ketten. Dennoch interessierte sich zunächst kaum jemand für den Geschichtslehrer aus dem kleinen Ort Sandoná. Also entschloss er sich zu dem Marsch. "Ich laufe nach Bogotá", eröffnete er der Familie am Vatertag und packte seine Sachen.

Auf den Straßen war der Asphalt so heiß, dass seine Schuhsohlen klebrig wurden. Überfälle sind dort an der Tagesordnung. Streckenweise ging es durch Guerilla-Gebiet. Anfangs wurde Moncayo belacht. In der Nachbarstadt Pastor regte ein Passant an, einen Psychiater für den offenkundig irre gewordenen Lehrer zu holen. Aber Moncayo ließ sich nicht abbringen. Irgendwann schickten die ersten Fernsehsender Begleiter. In den Dörfern begannen die Menschen, vor den Häusern auf Moncayo zu warten, reichten ihm Essen und Getränke zu. Und sie riefen "Vorwärts, Lehrer!"

46 Tage und 1200 Kilometer später machte sich niemand mehr über Moncayo lustig: Der tapfere Lehrer hat zwei Millionen Unterschriften für einen Gefangenenaustausch gesammelt. In Bogotá empfingen ihn Zehntausende mit weißen und kolumbianischen Fahnen. Menschen am Straßenrand wollten ihn berühren, als sei er ein Heiliger. Moncayos inzwischen mehr als 30 Begleiter fassten sich an den Händen, umringten ihn, um ihn abzuschirmen. Auch ihr Marsch ist ein Hilfeschrei, sie liefen für entführte Angehörige oder Freunde. Mehr als 3000 Entführte gibt es in Kolumbien, wie viele genau, weiß niemand.

Dass Moncayos Marsch so viel Beachtung findet, hat einen traurigen Hintergrund: Während der Lehrer durch Kolumbien wanderte, erschoss die Farc elf Geiseln. Nach Darstellung der Regierung haben zwei Gruppierungen der Guerillas aufeinander geschossen. Die Farc behauptet dagegen, "ausländische Söldner" hätten die Geiseln befreien sollen.

Eine gewaltsame Befreiungsaktion, bei der die Regierung das Risiko in Kauf nimmt, dass die Geiseln nicht überleben: Genau das ist eine der größten Sorgen Moncayos. Deshalb kämpft er gegen die Politik des Präsidenten Álvaro Uribe, der sich für militärische Geiselbefreiungen einsetzt. "Der Präsident ist nicht der Gott des Lebens, er kann keine gewaltsamen Befreiungen anordnen", sagt Moncayo.

Am Ziel seines Marsches, der Plaza Bolívar in Bogotá, ließ der Bürgermeister ein weißes Festzelt aufbauen und beugte auch gleich Protesten vor: "Moncayo kann schlafen, wo er will, bei mir zu Hause, im Rathaus, auf der Plaza Bolívar." Dort stand damals auch Präsident Uribe, er wollte mit Moncayo sprechen.

Keine Zugeständnisse

Doch der besorgte Vater ließ Uribe warten, 52 Minuten. Moncayo besuchte erst eine Messe und betete. Später trat er vor die Menge und rief: "Wir sind alle schuld! Wir sind zu gleichgültig!" Und dann fiel ein Satz, der dem Präsidenten sehr missfiel: "Wir sind die Opfer der Politik der Regierung und der Farc, wir sind der Spielball." Danach erst redete Moncayo mit Uribe.

Der Präsident enttäuschte ihn. Er bot zwar zunächst an, eine Sonderzone für Gespräche über einen Friedensschluss mit den Farc binnen 90 Tagen einzurichten. Er machte aber gleichzeitig unmissverständlich klar, dass er Zugeständnisse an die Guerilla weiterhin ablehnt - etwa den Abzug des Militärs aus einem 760 Quadratkilometer großen Gebiet. Uribe wies damit eine Bedingung der terroristischen Rebellen für einen Gefangenenaustausch zurück. Moncayo wandte sich ab, seine Frau wischte die Tränen ab. Die Kameras der Fernsehsender zeigten sein Gesicht in Großaufnahme.

Der Lehrer zeltete über einen Monat auf der Plaza Bolívar mitten in Bogotá - bis das Europäische Parlament ihn nach Brüssel einlud. Und auch der Papst hat ihm einen Termin für eine Audienz Anfang Oktober gegeben. Davor will Moncayo aber auf jeden Fall noch von Brüssel bis Paris laufen, um seine Sache voranzubringen.

In Frankreich ist ihm die Aufmerksamkeit der Medien gewiss: Präsident Sarkozy hat versprochen, sich persönlich für die Freiheit der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt einzusetzen, die seit dem Jahr 2002 von der kolumbianischen Guerilla entführt ist.