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Lauter Meister der potemkinschen Dörfer

Von Peter Reischer

Gastkommentare
Peter Reischer ist freier Journalist und Architekturkritiker.
© privat

Produzieren wir heute immer noch Kolonialarchitektur?


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Lassen wir zuerst einmal die Frage nach der moralischen/ethischen Berechtigung eines Architekten, für diktatorische Regime zu deren Imageaufbesserung Prunkbauten zu errichten, beiseite. Man muss ja nicht gleich den Nationalsozialismus herbeireden. 2012 habe ich im Zug eines Artikels über die Architektur-Biennale Venedig die Frage gestellt: "Warum machen die berühmten Architekten in Zeiten wie diesen nichts, außer an das Eigene zu denken?" Anscheinend hat sich an der Grundlage dieser Frage in den letzten acht Jahren nichts geändert. Ich will jetzt auch nicht große Geister (der Vergangenheit) wie Nietzsche oder Heidegger mit ihren - damals im Kontext der Zeit und damaligen Demokratie stehenden - Zitaten über Architektur als Beweis oder Nichtbeweis für eine derartige Berechtigung zu Rate ziehen.

Die Frage nach der Rechtfertigung für solche Bauten stellt sich auf einer ganz anderen Ebene - wobei die moralische aber keineswegs auszublenden ist: Ist es in unserer Zeit - bei diesen globalen, sozialen und ökologischen Problemen und Krisen - noch die Aufgabe der Architekten, derartige Monsterprojekte zu errichten? Geht das nicht völlig am Sinn und an der Aufgabe der Architektur vorbei? Wo doch die meisten dieser Bauten ohnehin leer stehen? Natürlich kann man damit rechnen, dass sich die (Corona-)Situation bessert, aber denken die werten Stararchitekten vielleicht auch einmal daran, dass wir selbst mit unserer Zivilisation und unserem (luxuriösen) Lebensstandard daran schuld sind, dass die Krise durchaus von Menschen gemacht ist? Und dass die Aufgabe der Architektur und ihrer Aushängeschilder vielleicht die wäre, Beispiele für bescheidene, zurückhaltende, suffizientere Architekturen zu entwerfen. Ein derartiges Vorbild wäre viel wert und könnte einiges verändern. Was wäre, wenn sie einmal in Ländern der sogenannten Dritten Welt, in Afrika vielleicht ein soziales Projekt ohne jede Gewinnaussicht realisierten? Eine Architektur, die der dortigen Bevölkerung zu 100 Prozent zugute käme? Die Bildung und Zukunft für die Menschen vermitteln könnte? Ohne dass europäische oder westliche Firmen und Büros ihren Gewinn daraus ziehen könnten? Das widerspricht allerdings, dem scheinbar noch immer der Architektur anhaftenden, Kolonialisierungsdrangs des Westens.

Provokant Raum besetzen

Aber nein, Prix, Hadid (beziehungsweise ihre Nachfolgeindustrie), Gehry und ähnliche Star inszenieren sich weiterhin als die großen Zampanos, die provokant Raum besetzen und mit seit Jahrzehnten gleich anmutenden, durchaus miteinander austauschbaren Produkten aus den parametrischen Architekturprogrammen für Aufregung sorgen. Sie sind allesamt Meister der potemkinschen Dörfer, indem sie den Menschen etwas vorgaukeln, falsche Bilder vermitteln, Diskussionen entfachen, die völlig an dringlichen Themen vorbeigehen, ablenken von den eigentlichen Problemen der Zivilisation und auch der Architektur. Welchen Beitrag zur Rettung unserer Umwelt leistet ein (bis dato leer stehendes) Museum MOCAPE in Shenzhen oder das geplante Science and Technology Museum Xingtai? Das Zweitgenannte hat übrigens eine gewisse Ähnlichkeit mit dem momentan in den Medien diskutierten Projekt von Prix in Sewastopol.

Zu diesem Projekt von Coop Himmelb(l)au gibt es zurzeit einiges an divergierenden Diskussionen in den Medien. Die Aussage von Architekt Rumpfhuber (im ORF im Zusammenhang mit den Projekten von Wolf D. Prix für Putin) wiederum, sein "Verstehen" der Haltung der Ukraine ist - unabhängig von politischen Narrativen - eine seltene Unempfindlichkeit und Unsensibilität gegenüber den, von Krieg, Armut und Not geplagten Menschen in dieser Region. Und das Erwähnen einer Zerstörungspraxis an Denkmälern bei dominanten Regimen ist ein schlechtes Bonmot, sonst gar nichts. Ebenso ist das von Rumpfhuber verwendete Argument, dass Architektur keine "reine Kunst" (aufgrund des planerischen und finanziellen Aufwands) sei, auch fehl am Platz. Es dient bestenfalls auch der Verwischung der Tatsache, dass die Architekten unserer Zeit (mit wenigen Ausnahmen) das Menetekel, die Notwendigkeit einer Reduktion, die Anstrengungen zur Bewältigung unserer (ökologischen) Krisen aus ihren Projekten und Gedanken auslagern, diese Fragen an die Wissenschaft, Forschung und Technik delegieren und sich lieber der Imagepflege und dem Geldverdienen widmen. Statt Vorbilder zu sein!

Wenn Prix nun meint, sich mit Wortklaubereien (Kultur stünde nicht in den Sanktionen) aus der sehr berechtigten Frage nach der moralischen, ethischen und politischen Vertretbarkeit dieses Baus befreien zu können, ist das vielleicht ein Zeichen seiner Überheblichkeit, die in ihrem Ausmaß einem Putin, Trump oder Erdogan in nichts nachsteht. Es könnte aber auch sein, dass er mit dieser Provokation eine Diskussion über die Entwicklungen in der Architekturszene anregen will - dann aber: ‚Hut ab‘ vor ihm.