Keine politische Persönlichkeit profitiert derart von Kämpfen um eine Pensionsreform wie die Rechtspopulistin.
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Es ist erst ein paar Tage her, da erreichten die Debatten in der französischen Nationalversammlung einen neuerlichen Tiefpunkt, herbeigeführt durch den Justizminister Eric Dupond-Moretti. In Richtung des Fraktionsführers der Konservativen, Olivier Marleix, der auf das gegen den Minister laufende Strafverfahren hinwies, führte dieser eine vulgäre Geste mit dem Arm aus, eine Art verlängerten Stinkefinger.
Schon in den Wochen zuvor war es bei den Diskussionen um die umstrittene Pensionsreform hoch hergegangen, es wurde gebrüllt und gepfiffen. Aurelien Santoul von der Linkspartei La France Insoumise (Das unbeugsame Frankreich, LFI) bezeichnete Arbeitsminister Olivier Dussopt sogar als "Hochstapler und Mörder", da dieser mitverantwortlich für den Anstieg der tödlichen Arbeitsunfälle in Frankreich sei. Sein LFI-Parteikollege Thomas Portes veröffentlichte ein Foto von sich, wie er seinen Fuß auf einen Ball stellte, der Dussopts Kopf abbildete. Gegen beide Politiker wurden Sanktionen verhängt.
Obwohl eine Vertreterin der Opposition, wandte sich eine Abgeordnete deutlich gegen derartige Fehltritte. Sie mahnte, die Pensionsreform nur mit Argumenten zu bekämpfen. "Wenn man sich darauf zurückbesinnen würde, dass man in der Politik keine Feinde, sondern Gegner hat, könnte man solche Entgleisungen vermeiden." Ihre gesamte Fraktion drücke dem Arbeitsminister ihre Unterstützung angesichts dieser "schweren Beleidigung" aus.
Die Frau am Redepult war Marine Le Pen, Fraktionschefin des rechtsextremen Rassemblement National (RN). Dussopt sagte später anerkennend über die 54-Jährige, sie habe sich "in diesem Moment sehr viel republikanischer verhalten" als ein Teil des linken Zusammenschlusses Nupes. Dieses hatte mehr als 17.000 Änderungsanträge für die Pensionsreform eingebracht. Aufgrund der begrenzten Zeit verhinderte es so, dass die Nationalversammlung über alle Artikel, darunter die umstrittene Anhebung des Pensionsantrittsalters von 62 auf 64 Jahre, abstimmen konnte.
Im Umfragehoch
Am vergangenen Samstag hatte der Senat für das Gesetz votiert. Am Mittwoch arbeitet ein Vermittlungsausschuss mit Mitgliedern aus beiden Kammern einen Kompromiss aus, über den am Donnerstag final abgestimmt wird. Der Ausgang ist ungewiss. Um den Druck zu erhöhen, organisieren die Gewerkschaften am Mittwoch den achten Protest- und Streiktag in wenigen Wochen.
Le Pen und ihre Abgeordneten beteiligten sich nicht daran. Doch das schade ihr kaum, meint der Soziologe Luc Rouban: "Der soziale Konflikt mit den Gewerkschaften droht nicht von Erfolg gekrönt und auch nicht mehr sehr beliebt zu sein, wenn er zu Blockaden führt." Die meisten Menschen wollten zwar keine Pensionsreform, aber auch keine Lähmung des Landes, so Rouban. "Für Le Pen ist es am günstigsten, nichts zu machen."
Genau das tut die Politikerin auch. Dennoch verkörpert sie für 46 Prozent der Menschen in Frankreich mehr als alle anderen Politiker den Widerstand gegen die Reform. Ihre Strategie, die Partei gemäßigter erscheinen zu lassen, offen rassistische Töne oder Symbole zu verbieten und den RN damit zu "entteufeln", zeigt ganz offensichtlich Erfolg.
Dem Umfrageinstitut Kantar Public zufolge befindet sich die Zahl derer in Frankreich, die die extreme Rechte als Gefahr für die Demokratie einstufen, mit 46 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit 40 Jahren. Vier von zehn Befragten glauben, der RN sei in der Lage, sich an einer Regierung zu beteiligen.
In den Köpfen der Menschen nähert sich Le Pen der Macht. Dabei erschien sie politisch erledigt, als sie in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl 2017 nach einem misslungenen TV-Duell gegen Macron mit 34 Prozent klar scheiterte. Bei ihrer dritten Kandidatur fünf Jahre später erhielt sie mit dem ultrarechten Journalisten Eric Zemmour zunächst ernsthafte Konkurrenz, doch der trat so radikal auf, dass Le Pen plötzlich moderat wirkte. Sogar die Tatsache, dass eine russische Bank ihrer Partei jahrelang Kredite gewährt hatte, schadete ihr im Wahlkampf nicht. In der Stichwahl gegen Macron erzielte sie 41,5 Prozent. Ein regelrechter Triumph gelang dann bei den Parlamentswahlen, als der RN 89 Sitze gewann - gegenüber acht in der vorherigen Legislaturperiode.
Strippenzieherin im Hintergrund
Um sich ganz der Arbeit im Parlament zu widmen, gab Le Pen den Parteivorsitz an den 27-jährigen Jordan Bardella ab. Er gilt als treuer Gefolgsmann; die eigentliche Strippenzieherin bleibt aber die frühere Partei-Chefin, die stets einen autoritären Führungsstil pflegte. In Umfragen wird Le Pen inzwischen als zweitbeliebteste Politikerin des Landes gehandelt, direkt hinter Macrons früherem Premierminister Edouard Philippe. Dieser bereitet sich auf eine Kandidatur bei der nächsten Präsidentschaftswahl in vier Jahren vor. Er konstatierte aber auch: "Die Favoritin für 2027 ist Marine Le Pen. Sie verfolgt weiterhin ihren Weg der Normalisierung."
Obwohl in einem Schloss im Pariser Nobelvorort Saint-Cloud aufgewachsen, gibt sich die zweifach geschiedene Mutter von drei erwachsenen Kindern bodenständig und gilt als Sprachrohr der einfachen Menschen. In den sozialen Netzwerken veröffentlicht sie ab und zu Fotos und Videos von ihren Hauskatzen. Der Name Le Pen hat für viele seinen Schrecken verloren, seit er weniger mit ihrem Vater, Jean-Marie, in Verbindung gebracht wird. Der Mitbegründer des einstigen Front National, der vor gut 50 Jahren an der Seite von ehemaligen Nazi-Kollaborateuren und Mitgliedern der Waffen-SS stand, wurde mehrmals unter anderem wegen Aufstachelung zum Rassenhass verurteilt. Auf seine antisemitischen, rassistischen Provokationen verzichtete er auch nicht, als seine jüngste Tochter 2011 die Partei übernahm.
Marine Le Pen ließ ihren Vater schließlich aus der Partei ausschließen und benannte den Front National 2018 in Rassemblement National um. Das Programm basiert aber weiterhin auf einem nationalistischen, anti-europäischen Kurs und baut auf dem Ausschluss von Migranten und Ausländern auf. So hielt sich Le Pen bei der Debatte um die Pensionsreform mit weitreichenden Alternativvorschlägen zurück, lancierte aber gleichzeitig mehrere Ideen zur Unterstützung von Familien, um die Geburtenrate in Frankreich zu steigern. Diese sank zuletzt, bleibt aber weiter die höchste in Europa.
Von Hilfen profitieren sollen nach Le Pens Vorstellung allerdings nur Paare, bei denen mindestens ein Elternteil die französische Staatsbürgerschaft hat. Einwanderer, die in Frankreich leben, Steuern und Abgaben bezahlen, will sie gemäß ihres Konzepts der "nationalen Bevorzugung" von solchen staatlichen Leistungen ausnehmen. "Die auf der Ethnie beruhende Geburtenpolitik des RN schreibt sich nicht in eine Familienpolitik der sozialen Gerechtigkeit ein, sondern zielt auf die Fortpflanzung allein der französischen Gesellschaft ab", betont die Spezialistin für die Sprache der Rechtsextremen, Cecile Alduy.
Antreten 2027 offen
Eine andere bezeichnende Szene hatte sich im vergangenen Oktober im Parlament zugetragen. Astrid Panosyan-Bouvet von der Regierungsmehrheit warf dem RN vor, "seit 50 Jahren eine ausländerfeindliche DNA" zu haben, und erhielt dafür eine Rüge von der Präsidentin der Nationalversammlung, ihrer Parteifreundin Yael Braun-Pivet. Gegen einen Sturm der Entrüstung verteidigte sich Braun-Pivet später, sie respektiere nur das Votum der Franzosen: "Als Politikerin bekämpfe ich den RN, aber nicht, indem ich ihn ausschließe." Le Pen hatte an dem Tag eine weitere Stufe auf ihrem Weg zur Normalisierung erklommen.
Sie selbst hält es derzeit noch offen, ob sie bei der Präsidentschaftswahl 2027 wieder antreten wird. "Ich werde sehen, ob ich dann in der besten Position bin, mich zu bewerben", antwortet Le Pen auf die Frage. Die Zeit arbeitet momentan für sie.