Brüssel - Der Triumph von Jean-Marie Le Pen im ersten Durchgang der französischen Präsidentenwahl weckt neue Furcht vor einem Erstarken der Rechtsextremisten in Europa. Das Ergebnis vom Sonntag setzt eine Reihe rechtspopulistischer Wahlerfolge in Österreich, Italien und Dänemark fort. Dort sitzen inzwischen Politiker an den Hebeln der Macht, die offen rassistisches Gedankengut verbreiten und dadurch die Europäische Union in eine schwierige Lage gebracht haben.
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"Ich hatte Recht, die extreme Rechte ernst zu nehmen, angesichts der Ereignisse in Österreich, Italien und jetzt in Frankreich, dem Heimatland der Menschenrechte", sagte Belgiens Außenminister Louis Michel zum politischen Erdrutsch im Nachbarland. Der liberale Vizeregierungschef hatte sich an die Spitze der Bewegung gestellt, als die 14 EU-Partner Ende 1999 über die Regierungsbeteiligung der rechtsgerichteten FPÖ in Wien murrten. Doch dann verlief der Widerstand gegen die Haider-Partei im Sande.
Im EU-Vertrag von Nizza zogen die Staats- und Regierungschefs im Dezember 2000 zwar Konsequenzen. Sie erweiterten ihre Möglichkeiten, "eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung" von Grundrechten oder Grundfreiheiten in einem der Mitgliederstaaten zu rügen und zu bestrafen. Doch die Anwendung der Passage blieb vage. Als Silvio Berlusconi im folgenden Frühjahr mit Hilfe der rechtsgerichteten Alleanza Nazionale und der separatistischen Lega Nord die Regierung in Italien übernahm, kam die Bestimmung nicht zum Einsatz.
In der Innen- und Rechtspolitik, dem Steckenpferd der Parteien am rechten Rand, sorgte Italiens neue Regierung rasch auch auf der Brüsseler Bühne für Aufregung. Mehrfach - etwa beim europäischen Haftbefehl - bremste sie im Ministerrat ein schärferes Vorgehen gegen Kriminelle, angeblich aus Sorge um nationale Zuständigkeiten. Weitere Konflikte sind absehbar. Die relativ liberalen Vorschläge der EU- Kommission in der Asyl- und Ausländerpolitik etwa gingen selbst Deutschlands sozialdemokratischem Innenminister Otto Schily zu weit.
Und mit Dänemark übernimmt im zweiten Halbjahr 2002 ein Land die EU-Präsidentschaft, dessen neue Regierung die Wahlen im Dezember mit der unverblümten Ankündigung einer schärferen Ausländerpolitik klar gewann. Diese Pläne setzt die rechtsliberale Koalition seither auch tatkräftig um, unterstützt von ihren Mehrheitsbeschaffern der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei. Auf europäischer Ebene regte sich dagegen bisher kein Protest, der mit der früheren Aufregung in Sachen Österreich vergleichbar wäre.
Wesentlicher Wegbereiter des Widerstands gegen die Regierung in Wien war seinerzeit Frankreich, wo rechtsextreme Kandidaten nun jede fünfte Wählerstimme einheimsten. Gesinnungsgenossen des französischen Front-National-Chefs Le Pen frohlocken bereits. "Das Ergebnis ist spektakulär", freute sich der Vlaams Blok in Belgien, der sonst allem Französischen abhold ist. Die flämischen Nationalisten mit dem ausländerfeindlichen Slogan "eigen volk eerst" (das eigene Volk zuerst) glauben an einen Aufwind für die Rechten quer durch Europa.