Ein EU-Gipfeltreffen jagt das nächste - ohne greifbare Erfolge. Vergangenen Sonntag gab es gleich zwei: Am Vormittag kamen die Regierungschefs von 9 mittel- und osteuropäischen Ländern zusammen, am Nachmittag alle 27. Der nächste Europäische Rat tagt in 14 Tagen. Und? Eine gemeinsame europäische Linie auch nur in den drängendsten Fragen ist nicht in Sicht. Die Rezession fördert Kirchturmdenken statt gesamteuropäischer Perspektive. Für Präsident Nicolas Sarkozy ist ungeniert das französische Hemd näher und wichtiger als der tschechische Rock. So degenerieren nationale Industriehilfen zu EU-weiten Wettbewerbsverzerrungen.
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Die Bedingungen und Regeln des gemeinsamen Binnenmarkts aufrechtzuerhalten, ist nicht eine Peanut-Frage vom Typ Gurkenradius; ein Grundpfeiler der Union wird gefährdet, wenn ein (noch dazu großer) Mitgliedsstaat versucht, Industrie- (und Konjunktur-)Politik auf Kosten der Nachbarn zu betreiben. Man kann nur hoffen, dass in solchen Fällen Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes stur bleibt wie bisher.
Ungarn, Lettland und Rumänien scheinen derzeit am meisten gefährdet durch fallende Wechselkurse, gähnende Leistungsbilanzdefizite und furchterregende Verschuldung von Firmen und Privaten in fremder, das heißt Euro-Währung. Für Ungarn gilt heuer ein Schrumpfen der Wirtschaft um sechs Prozent als wahrscheinlich, für Lettland rechnet man mit zwölf Prozent. Ungarn wie Lettland haben bereits Milliardenkredite des Internationalen Währungsfonds erhalten (sonst eher typisch für Länder der Dritten Welt). Gibt es ein Notfallkonzept, gemeinsam getragen von Kommission, EZB und Rat? Leider nein. "Given the scale of the problem, the lack of coordination (.. .) has been scandalous", kommentierte der "Economist" Ende Februar. Die betroffenen Banken, nicht wenige davon in österreichischer Hand, werden derzeit im Regen stehen gelassen - damit aber auch deren Schuldner und die Bevölkerung neuer Mitgliedsländer. Solidarität schaut anders aus.
Damit nicht genug, die Euro-Zone selbst steht vor ungeahnten Belastungsproben. Es ist heute nicht schlechthin abartig, die Zahlungsunfähigkeit von Irland, Italien oder Griechenland für denkbar zu halten. Irland etwa steht vor einem Budgetdefizit von zehn Prozent des BIP oder mehr - wer wird das ohne dramatische Zinsaufschläge finanzieren? Schön und gut, dass die Euro-Verträge ein Bail Out bankrotter Mitgliedsländer verbieten. Aber die Zulassung eines Staatsbankrotts könnte noch schlimmere Folgen für die gesamte Euro-Zone haben als die teure Rettung eines Euro-Mitglieds.
Leadership ist dringend gefragt. Vielleicht überrascht uns ja der Europäische Rat am 19. März. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Alexander Van der Bellen ist Abgeordneter der Grünen im
Nationalrat.
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