Mit dem 356er hat alles begonnen: Vor 70 Jahren in Kärnten gebaut, war es das erste Auto, das unter dem Namen Porsche auf die Straßen kam und den Mythos der Sportwagen-Marke begründete.
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Der 87. Automobil-Salon in Genf hat an diesem Donnerstag begonnen und läuft noch bis zum 19. März 2017. Die "Geneva Interna-tional Motor Show" zählt in Sachen Mobilität zu den wichtigsten Branchen-Events. Und das schon lange. Denn bereits 1905 wurden einer staunenden Öffentlichkeit am Ufer des Genfer Sees glänzende Modelle vorgestellt, die für Unabhängigkeit und Freiheit des modernen Menschen standen und eine neue Ära einläuteten.<p>Seit 1924 versammeln sich jedes Jahr um die Iden des März herum Tausende Schaulustige, um beim Automobil-Salon Konzeptionen und Konstruktionen zu vergleichen. Nur wegen des Zweiten Weltkriegs und der dabei zerstörten zivilen europäischen Industrie machte die Show von 1940 bis 1948 eine Pause. 1949 aber ging es wieder los. Und der Konstrukteur Ferry Porsche zeigte ein kleines hübsches rundes Auto, das große Aufmerksamkeit auf sich zog. Es war die internationale Premiere des in Handarbeit gefertigten Porsche 356, des ersten Porsche im freien Verkauf.
<p>Maxi Hoffman, ein emigrierter Jude aus Wien, der als Erster damit begonnen hatte, deutsche Autos in den USA zu verkaufen, verliebte sich in den Wagen und schloss mit Ferry Porsche einen Exklusivvertrag ab. Hoffman sorgte dafür, dass legendäre Hollywood-Helden wie James Dean und Steve McQueen, aber auch die Blues-Sängerin Janis Joplin zu Porsche-Fans wurden. So machte er das Label auch bei jungen zahlungskräftigen Rebellen in Amerika schon früh zu einem Mythos.<p>Heuer werden an die 700.000 Besucher und rund 10.000 Me-dienvertreter aus aller Welt erwartet. 180 Aussteller zeigen rund 900 Modelle, 148 davon sind Welt- und Europa-Premieren. In der Hauptsache werden Autos für den Alltag präsentiert: sparsame Mittelklasse-Modelle, praktische Kombis und mächtige SUVs.<p>
"Der US-Sozialwissenschaftler James Flink hat das 20. Jahrhundert einmal als ‚automobile age‘ bezeichnet. Aber damit ist es jetzt vorbei. Beschränkte Ressourcen, Umweltbelastungen und überfüllte Straßen prägen den Blick einer zunehmend ökologisch geprägten Gesellschaft. Der Zeitgeist fordert das Retten der Welt ein", notiert der Motorjournalist Michael
Köckritz im Automagazin "Ramp". "Das Auto als unantastbares und unbekümmert genutztes Freiheits-Tool gibt es nicht mehr. Es steht auf einmal in der Gegend herum und ist nur noch eine Mobilitätsoption unter vielen, wie zum Beispiel Carsharing."<p>
Emotion auf vierRädern
<p>Dennoch: Die größte Aufmerksamkeit erhalten in Genf nicht die Hybrid- oder E-Cars, sondern die Sportwagen, die bei Aficionados für Emotionen mit beschleunigtem Herzschlag sorgen. Sie stehen für den Lifestyle ihrer Besitzer und wirken wie edler Schmuck oder ein tätowiertes Ornament, das die Zugehörigkeit zu einer Elite dokumentiert. "Die Natur ist voller Phänomene, die nur als Resultat eines Investierens in scheinbar überflüssige, tatsächlich aber höchst wertvolle Ornamente verstehbar sind", sagt Professor Winfried Menninghaus, Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main. "Alle Kulturen haben den ihnen möglichen Aufwand für Techniken der Selbstornamentierung getrieben. Diese hören nicht an den Grenzen des Körpers auf. Der Besitz begehrter Objekte hat den Wert eines Ornaments. Er ist deshalb Teil und Medium einer sexuellen und sozialen Konkurrenz mit ästhetischen Mitteln."<p>Kurz gesagt: Wer mit einem Sportwagen beim 20-jährigen Matura-Treffen auftaucht, zeigt seine überlegenen Ressourcen, die mit sozialen Bonuspunkten, auch bei der Partnersuche, belohnt werden. Ideal für so einen Auftritt sind derzeit etwa die Neuauflage des Renault Alpine oder die pfiffigen Kraftpakete von Aston Martin, Lotus, McLaren, Ferrari und Maserati. Und selbstverständlich zählt auch Porsche dazu: Porsche ist die stärkste Marke in Deutschland, wie das "Manager Magazin" meldet. Die Porsche AG, eine Tochter von VW, ist der größte Sportwagenhersteller und das profitabelste Automobilunternehmen der Welt. Es gibt nur wenige Produkte "Made in Germany", die dermaßen gefragt sind wie die Sportwagen aus Stuttgart-Zuffenhausen: Deutsche Ingenieurskunst, technische Perfektion, Streben nach Luxus, Triumphe auf den Rennstrecken und faszinierendes Design machen aus jedem Porsche ein Objekt der Begierde.<p>Dieses Jahr präsentiert man im Automobil-Salon mit dem neuen GT3 ein weiteres Mitglied der seit Jahrzehnten erfolgreichen 911er-Familie. Trotz vier Litern Hubraum und 485 PS: Schaut man dem GT3 lange genug in die Augen, dann entdeckt man ganz hinten die Wurzeln seiner faszinierenden DNA und die Einzigartigkeit seiner Abstammung.<p>Um das Erbgut des legendären Sportwagens zu entschlüsseln, genügt es nicht, den ersten 911er im Museum zu besuchen. Da muss man schon eine umfangreichere Zeitreise in die Vergangenheit machen. Und zwar nach Österreich. In die Stadt Gmünd. Aber nicht nach Gmünd ins nordwestliche Waldviertel, wo einst der erste Oberleitungsautobus Österreichs verkehrte und die Zen-trale der kaiserlich-königlichen Franz-Josefs-Bahn war, die Wien mit Prag und Budweis verband.<p>Das Ziel liegt, weniger bekannt, im Süden Österreichs, in Kärnten, nördlich des Millstätter Sees. Gmünd in Kärnten war ursprünglich einmal eine bedeutungslose Raststation an der Römerstraße nach Salzburg und ist den meisten Historikern überhaupt nur wegen dreier Ereignisse eine Erwähnung wert. 1754 wurde dort eine auch heute noch auf der ganzen Welt einmalige Kuriosität gebaut, nämlich eine zweigeteilte Kirche, durch die eine befahrbare Straße führt. Auf der einen Seite der Straße befindet sich der zur Straße hin offene Altarraum, in dem der Pfarrer mit dem Kruzifix im Rücken wie auf einer Bühne agiert und zu den Gläubigen predigt, die vis-à-vis in einem zur Straße hin offenen Gebetsraum in zwei Stockwerken sitzen. Warum die Kirche so errichtet wurde, ist nicht bekannt.<p>
Der erste Sportwagen aus Gmünd
<p>Die zweite nennenswerte Begebenheit fand 1773 statt: der letzte Hexenprozess in Österreich. Vom Landgericht Gmünd wurde die "Hexe" Eva Kary-Faschaunerin zum Tode verurteilt, nachdem sie unter Folter das Geständnis abgelegt hatte, ihren Ehemann Jakob Kary nach nur einem Monat Ehe mit Arsenik vergiftet zu haben. Man enthauptete sie mit einem Schwert und präsentierte ihren abgeschlagenen Kopf der Öffentlichkeit als Mahnung.<p>Weitaus erfreulicher ist das Ereignis Nummer drei, denn in Gmünd wurde der erste Sportwagen erfunden, konstruiert, getestet und gebaut, der unter dem Markennamen Porsche eine Straßenzulassung bekam und den Mythos von einem Leben auf der Überholspur begründete: der 356er, der Ur-Ahn.<p>Das weltweit einzige private Porsche-Museum in Gmünd dokumentiert akribisch, wie Ferry Porsche im Frühjahr 1947 mit 38 Jahren damit begann, ohne seinen berühmten Vater Ferdinand Porsche Automobilgeschichte zu schreiben: "Ich schaute mich um, konnte aber den Wagen, von dem ich träumte, nicht finden. Also musste ich ihn mir selber bauen."<p>Am 18. Mai 1982 eröffnete der Antiquitätenhändler Helmut Pfeifhofer sein Museum in den ehemaligen Hofstallungen des Grafen von Lodron. Heute sind auf zwei Etagen neben Exponaten aus der Historie des Automobilherstellers auch die von 1944 bis 1950 in Gmünd erzeugten Konstruktionen ausgestellt.<p>"Boden und Wände waren damals aus Holz", sagt Pfeifhofer. "Nach dem Krieg hatten die Leute nichts. Die Porsche-Ingenieure überlegten also, wie man Geld verdienen konnte und was die Leute hier in der Gegend brauchten. Damit sie in der bergigen Gegend zum Beispiel Heu transportieren konnten, brauchten sie Seilwinden."<p>Außerdem wurden Traktoren, Handwagen, Durchströmturbinen und Mähfinger gebaut. Es roch nach Sägespänen und Benzin.<p>Aber warum Gmünd? Das hatte mit dem Untergang des Nazi-Reichs zu tun. Als Visionär kuschelte der alte Ferdinand Porsche mit Adolf Hitler und baute im Auftrag des "Führers" den Kraft-durch-Freude-Wagen, der zwar nie in Serie ging, aber als VW Käfer nach Kriegsende zur Legende wurde. Davor jedoch wurde das Auto von der Stuttgarter Firma "Dr. Ing. h.c. F. Porsche GmbH" zum verlässlichen Kübelwagen der Wehrmacht umgerüstet. Darüber hinaus entwickelte Porsche den Panzer Tiger und den Panzer Maus.<p>Aber halt! Man kann die Porsche-Story nur dann verstehen, wenn man die handelnden Personen ans Licht zerrt. Da ist zunächst einmal der Patriarch. Der alte Ferdinand Porsche war als Autokonstrukteur ein Genie und privat ein jähzorniger Mann, der fluchend seinen Hut zu Boden warf und darauf herumtrampelte, wenn ihm etwas nicht passte. Es kam vor, dass er einem Motor Fußtritte verpasste, wenn technische Probleme auftraten.<p>Als Wehrwirtschaftsführer war er schon früh Mitglied der NSDAP und wurde von Hitler mit dem Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet. Als SS-Oberführer, der immer in Zivil gekleidet war, erhielt er das Kriegsverdienstkreuz I. Klasse und im März 1944 den Totenkopfring vom "Reichsführer SS" verliehen. Der Wahnsinn des Regimes wurde für ihn zu einem lukrativen Geschäft. Er war ein skrupelloser Opportunist und treuer Diener seines Herrn.<p>Als Standort kriegswichtiger Industriebetriebe wie Daimler-Benz und Bosch, geriet Stuttgart schon früh ins Fadenkreuz der englischen Royal Air Force und der US Army Air Forces. Die Bomberverbände flogen im Juli und September 1944 ihre massivsten Luftangriffe auf die Schwaben-Metropole. Daraufhin forderte Albert Speer, Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Ferdinand Porsche auf, sein Stuttgarter Konstruktionsbüro zu räumen und mit all den wichtigen Kon-
struktionsplänen in das weniger gefährdete Österreich zu übersiedeln.<p>
Ein Renault vonFerdinand Porsche
<p>In Zell am See besaßen die Porsches seit 1941 ein 600 Jahre altes Anwesen auf einer Alm, wo die Familie sicher vor Bombenangriffen war: das sogenannte "Schüttgut". Die neue Firma sollte nicht allzu weit entfernt davon sein. Aus einer Liste von in Frage kommenden Fabriken wählte Ferdinand Porsche schließlich ein Sägewerk in Gmünd, in dem seine Konstrukteure ab November 1944 gut getarnt weiterarbeiten konnten.<p>Nach Kriegsende kamen die Engländer, die Amerikaner und die Franzosen. Sie alle wollten die Porsche-Erfindungen und Kon-
struktionen an sich nehmen. Doch die Pläne waren in Aluminiumkisten in Zell am See vergraben worden.<p>Die Franzosen agierten ohne Skrupel. Am 15. Dezember 1945 wurde Ferdinand Porsche von der französischen Geheimpolizei verhaftet und im Mai 1946 nach Paris gebracht. Dort wollte sich die Automobilindustrie Porsches Kenntnisse aneignen, denn sie planten einen eigenen "Volkswagen". Louis Renault, der das Projekt ursprünglich begonnen hatte, wurde wegen der Zusammenarbeit mit der Hitler-freundlichen Vichy-Regierung nach der Befreiung von Paris am 23. September 1944 verhaftet und inhaftiert. Am 9. Oktober wurde er in ein psychiatrisches Krankenhaus eingeliefert und kurz darauf in die Klinik Saint-Jean-de-Dieu verlegt. Dort starb er am 24. Oktober 1944 an den Folgen von Misshandlungen und Folter in der Gefängniszelle.<p>Renault war tot. Aber sie holten sich Porsche. Mit Schlägen zwangen sie den alten Mann, für sie den kleinen runden viertürigen Renault 4 CV zu entwickeln. Erst gegen eine hohe Kaution wurde Porsche sen. im August 1947 nach 21 Monaten französischer Haft freigelassen.<p>Während der alte Porsche inhaftiert war, kurbelte sein Sohn Ferry in Kärnten eine eigene Automobilproduktion an. Ferry war ein sensibler, sozial denkender Mensch, der sich gegen den dominanten Vater nie so richtig durchsetzen konnte. Während der Haft des Vaters hatte Ferry endlich freie Hand.<p>Wichtig ist auch die ständige Rivalität zwischen Ferry und seiner Schwester Louise. Die beiden stritten fast täglich und waren grundverschieden. Der Kronprinz musste sich gegen die aufmüpfige Schwester behaupten. Während ihr Vater in Haft und ihr Bruder in Kärnten war, nahm Louise Piëch-Porsche die Zügel in die Hand. Um sie herum scharten sich ihre eigenen vier Kinder, aber auch die vier Kinder von Ferry. Doch das füllte sie nicht aus.<p>Sie schlug die Gründung eines österreichischen Porsche-Unternehmens vor, um der Gefahr der Enteignung in den Nachkriegsjahren zu entgehen. Gemeinsam mit Ferry handelte sie aus, dass VW eine Lizenzgebühr von fünf Mark pro gebautem Käfer an die Porsches zu bezahlen hatte - in der Wirtschaftswunderzeit ein Millionengeschäft. Und es ist sicherlich auch Louises Verdienst, dass die Porsche Holding in Salzburg heute das größte Automobilhandelshaus in Europa ist. Die Familie Piëch übernahm ab 1947 das VW-Geschäft in Österreich, und Ferry kümmerte sich um die Sportwagenfertigung in Leichtbauweise.<p>Und das kam so: Eines Tages besuchte der Wiener Ex-Rennfahrer und Auspuff-Entwickler Karl "Carlo" Abarth die Manufaktur in Gmünd. Abarth lebte damals in Südtirol und machte sich später als Anbieter von Fahrzeug-Tuningteilen einen Namen. Als Firmenzeichen nahm er sein Sternzeichen: einen Skorpion. Abarth überredete Ferry dazu, gemeinsam mit ihm für den italienischen Textilproduzenten Piero Dusio einen Rennwagen zu konstruieren, den Cisitalia 360. Das Auto wurde mit Kompressor und zuschaltbarem Allradantrieb gebaut und war sehr erfolgversprechend, doch dem Textilproduzenten ging das Geld aus, und so kam der Cisitalia nie zu einem Renn-Einsatz.<p>
"It’s a wild thing made in Austria!"
<p>Frustriert beschloss Ferry im Frühjahr 1947, sein eigenes Auto zu bauen. Das Fahrwerk des Prototyps 356 war ein selbst gebauter Stahl-Gitterrohrrahmen mit Vorder- und Hinterachse eines VW Käfers. Auf diese Basis montierte Ferry eine selbst entworfene Karosserie aus Aluminiumblechen, die in Handarbeit über eine Holzform gebogen wurden. Der luftgekühlte 1131cm³-Vierzylinder-Boxermotor wurde als Mittelmotor vor der Hinterachse eingebaut. Die Motorleistung lag bei 35 (!) PS. Der 585 kg schwere Roadster erreichte eine Geschwindigkeit von 135 km/h. Gebremst wurde über vier Trommelbremsen.<p>"Manchmal konnten wir hochwertige Teile wie zum Beispiel Spezialzündkerzen nur in Deutschland beschaffen und brachten sie dann in der Hosentasche über die Grenze", schrieb Ferry Porsche in seiner Biographie "Ein Leben für das Auto".<p>Als offizieller "Geburtstag" des Porsche 356 gilt der 7. Juli 1948. An diesem Tag erschien in einer Autozeitschrift der erste Testbericht. Obwohl der Sportwagen zum Preis von fast 10.000 Mark in der Nachkriegszeit ein nahezu unerschwingliches Luxusprodukt war (ein VW Käfer kostete 4600 Mark) lief das Geschäft - sehr bald auch in den USA - flott an. Bis Ende 1950 wurden in Gmünd 47 Stück gebaut. 1951 fertigte man in Stuttgart 1364 Exemplare des 356, und bis zum Ende der Produktion im Jahr 1966 verließen summa summarum 77.766 Stück der 356er-Baureihe als Coupé, Cabriolet, Speedster oder Carrera das Werk.<p>Bei seinen Verkaufsgesprächen in Amerika soll Maxi Hoffman potentielle Käufer des kleinen Porsche mit den Worten aufgeklärt haben: "It’s a wild thing made in Austria!"
Georg Biron, geboren 1958 in Wien, ist Schriftsteller, Reporter, Regisseur und Schauspieler.