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Leben aus dem Reagenzglas

Von Gottfried Forsthuber

Gastkommentare
Gottfried Forsthuber ist Rechtsanwaltsanwärter in Baden bei Wien (www.forsthuber.at).

Fast über Nacht könnte sich unsere Gesellschaft fundamental ändern. Große ethische Fragen bleiben offen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Regierung tut etwas. Die Regierung ist fortschrittlich. Das waren möglicherweise äußere Gründe für die beabsichtigten Änderungen im Fortpflanzungsmedizingesetz, die der Nationalrat im neuen Jahr beschließen soll. Die Wissenschaft hat sich weiterentwickelt, doch sind alle neuen Methoden auch ethisch vertretbar? Abgesehen davon soll ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs eingearbeitet werden. Dessen Inhalt: Auch lesbische Paare haben ein Recht auf Kinder.

Um es gleich vorweg zu sagen: Wer welche sexuelle Orientierung hat, sollte im Jahr 2015 ziemlich egal sein. Diskriminierung in welcher Form auch immer muss der Vergangenheit angehören. Ob es allerdings vertretbar ist, gleichgeschlechtlichen Paaren zu gestatten, Kinder zu bekommen, ist diskussionswürdig.

Der Verfassungsgerichtshof orientiert sich in seiner Rechtsprechung am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser meint: Es ist für ein Kind besser zu existieren, als gar nicht zu existieren. In welchem Umfeld das Kind allerdings aufwächst, hat er jedoch nicht in Erwägung gezogen.

Kinder brauchen erwiesenermaßen die Einflüsse beider Geschlechter für eine gedeihliche Entwicklung. In gleichgeschlechtlichen Partnerschaften übernimmt tendenziell einer die weibliche und einer die männliche Rolle. Aber reicht das? Gibt es Langzeitstudien, die erforschen, wie sich die Kinder in gleichgeschlechtlichen Beziehungen entwickeln? Wird das Kind in solchen Beziehungen zum Statussymbol degradiert oder steckt ein ehrlicher Kinderwunsch dahinter? Viele Fragen, wenige Antworten. Was bleibt, ist die Gewissheit, dass Gerichte Gesellschaftspolitik betreiben, ohne über alle entscheidungsrelevanten Grundlagen zu verfügen.

Ein weiterer Diskussionspunkt ist die Eizellenspende (derzeit verboten, könnte aber eine Ungleichbehandlung zur erlaubten Samenspende darstellen). Wer achtet dabei wirklich auf das Wohl der Spenderinnen? Wer achtet darauf, dass Frauen aus wirtschaftlichen Gründen eine massive Hormonbehandlung über sich ergehen lassen, damit sie ihre Eizellen spenden können? Entgeltzahlungen sind zwar verboten, doch wer kontrolliert das?

Höchst diskussionswürdig ist auch die Präimplantationsdiagnostik (außerkörperliche Befruchtung, Entnahme beziehungsweise Abspaltung einer Zelle des Embryos, genetische Diagnostik und Embryotransfer), bei der streng genommen Leben erschaffen, ein Teil weiterverwendet und der Rest getötet wird. Vor der Einpflanzung können genetische Defekte erkannt werden, das könnte zu einer "Rasterfahndung nach behindertem Leben" führen, wie es ÖVP-Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg ausdrückt. Auf der anderen Seite stehen Paare, deren Kinderwunsch durch ein hohes genetisches Risiko - wenn überhaupt - nur schwer zu erfüllen ist; etwa wenn sie an einer Chromosomenveränderung leiden, die häufig Fehl- oder Totgeburten verursacht oder zu schwerstbehinderten Babys mit einer Lebenserwartung von wenigen Stunden führt.

Es sind große Fragen, die unsere Gesellschaft nachhaltig verändern können, und in nur 14 Tagen soll darüber eine Entscheidung fallen? Eine eingehendere Debatte darüber wäre zweckmäßiger, als auf Biegen und Brechen etwas durchzudrücken.