Bürgermeister: "Oswiecim ist nicht das KZ Auschwitz." | Wunsch nach normalem Leben prallt auf Erinnerung. | Oswiecim/Wien. Es könnte eine durchschnittliche polnische Kleinstadt sein: Kleine, ein wenig dörflich wirkende Häuser bilden einen recht ansehnlichen Hauptplatz, die 40.000-Einwohner-Stadt ist im Schnee versunken. Und vor allem im Sommer, wenn ein Stück weit von den rasch hochgezogenen Plattenbauten aus sozialistischer Zeit entfernt, der Wind über die Fischteiche streicht, könnten flüchtige Besucher fast vergessen, dass sie sich in Auschwitz befinden.
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Aber eben nur fast. Oswiecim, die polnische Kleinstadt, die heute, am 27. Jänner vor 65 Jahren, von der Roten Armee befreit wurde, kann sich nur schwer aus der Friedhofsstimmung lösen, die ihr die nationalsozialistischen Verbrechen auferlegt haben. Auch viele Polen verbinden den Namen der Stadt mit dem am Stadtrand gelegenen deutschen Konzentrationslager: "Du kommst aus Auschwitz? Schläfst Du dort in den Baracken?" bekommen Einwohner von Oswiecim immer noch zu hören. Da nutzt es auch wenig, dass die lokale Eishockeymannschaft die polnische Meisterschaft bereits mehrmals für sich entschied oder ein Schwimmer aus Oswiecim namhafte Erfolge erzielte - das Leben der Stadt bleibt von der ungeheuerlichen Todesfabrik, die Hitlers Schergen 1940-45 unweit der Stadt installierten, überschattet.
"Die Welt kennt die Mahnung "nie wieder Auschwitz" - das ist richtig und wichtig. Es darf aber nicht "nie wieder Oswiecim" heißen", meint Janusz Marszalek, seit 2002 Oberbürgermeister der Stadt. Er insistiert auf einem dicken Trennungsstrich zwischen seiner Stadt und dem Nazi-KZ: "Oswiecim ist nicht Auschwitz", sagt er. Die Menschen hier hätten das Recht, normal zu leben.
Dennoch versucht der umtriebige Stadtchef, von den ansteigenden Besucherzahlen im Auschwitz-Museum zu profitieren: Ein "Hügel der Erinnerung" soll Besucher ins Zentrum locken: "Von der Hölle des KZ Auschwitz nach Oswiecim, der Stadt des Friedens", heißt es in einem Prospekt.
Die früher so zahlreichen Konflikte zwischen der Stadtverwaltung und den Erinnerungs-Institutionen haben sich zuletzt entspannt: Dass in Oswiecim seit 2000 ein "jüdisches Zentrum" aktiv ist, das die Erinnerung an die zahlreichen Juden von Oswiecim wach hält, passt etwa durchaus in Marszaleks Konzept, die Stadt möge von der Bürde, die ihr auferlegt ist, profitieren.
Denn der belastete Name, so meinen manche, brächte für die Stadt nur Probleme: Immer wieder kochten in Oswiecim Gerüchte hoch, mögliche Investoren in die industriell geprägte Kleinstadt - besonders Deutsche - seien abgesprungen, nachdem ihnen klar wurde, dass Oswiecim Auschwitz ist. Die Probleme der Stadt ähneln denen vieler europäischer Industrieregionen: Die Jugend zieht weg, und die vormals riesigen Chemiewerke, die der Bevölkerung zu Zeiten des Sozialismus Arbeit gegeben hatten, sind deutlich geschrumpft.
Immer wieder Konflikte
Vor diesem Hintergrund war der Konflikt zwischen dem Wunsch der Bevölkerung, normal zu leben, und dem Gedächtnis an den Holocaust in den 90er Jahren immer wieder hochgekocht: Einmal war es ein Supermarkt, der zu nah ans Lagergelände gebaut werden sollte, einmal ein Hotel, das die Wogen zwischen Stadtverwaltung und Auschwitz-Museum hochgehen ließ. Als im Jahr 2000 eine Diskothek neben der "internationalen Jugendbegegnungsstätte", einer zur Hälfte deutschen Institution, eröffnet wurde, führte das zu einem Aufschrei in der Weltpresse - und zu Unmut in Oswiecim. Damals war auch der jüdische Friedhof der Stadt geschändet worden.
Mittlerweile hat sich die Lage wieder beruhigt: Befürchtungen, das jüdische Zentrum könnte Ressentiments entfachen, haben sich als falsch herausgestellt. Im Gegenteil: Die Einrichtung wird von mehr und mehr Bürgern genutzt, um etwas von der verloren gegangenen Geschichte der Stadt zu erfahren. Denn etwa die Hälfte der Bewohner des alten Oswiecim vor dem Holocaust waren Juden.
KZ Auschwitz
Vor 65 Jahren, am 27. Jänner 1945, wurde das nationalsozialistische Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit. Es gilt als Symbol für den Holocaust. In dem zwischen den Städten Krakau und Kattowitz (Katowice) gelegenen Lagerkomplex - alleine die beiden Hauptlager Auschwitz I und II umfassten 191 Hektar - wurden im Zweiten Weltkrieg mehr als eine Million Menschen, zumeist Juden aus dem von Nazi-Deutschland besetzten Europa, ermordet. Auschwitz wurde zum zentralen Ort des industriellen Völkermordes.
Bei der heute, Mittwoch, stattfindenden Gedenkfeier zur Befreiung des Lagers nimmt für Österreich Nationalratspräsidentin Barbara Prammer teil.