Am Sonntag wird das "Projekt: Interreligiöses Europa" in Graz eröffnet. Im Gegensatz zu üblicherweise von Kirchen veranstalteten ökumenischen Konferenzen ist die "Europäische Begegnung" im Sinne der Friedens- und Konfliktforschung zu verstehen, erläutert Karl Kumpfmüller vom Grazer Friedensbüro im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
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"In einer säkularisierten Gesellschaft, die sich in den internationalen Beziehungen ausschließlich auf das Regime des Völkerrechts beruft, wo Religionen also keine Rolle spielen, kann das Außerachtlassen von religiösen Hintergründen fatal sein für die internationale Gemeinschaft", erläutert Kumpfmüller. Der gelernte Jurist und Wirtschaftswissenschaftler, der Entwicklungsökonomie und Entwicklungspolitik an der Universität Graz lehrt, streicht daher die soziologische Herangehensweise des Projekts hervor.
Religionen und deren Umfeld könnten einen ganz entscheidenden Beitrag zur Konfliktlösung leisten, dieser Punkt werde aber bisher in der Friedens- und Konfliktforschung "sträflich vernachlässigt", so Kumpfmüller. Seiner Ansicht nach ist ein "interreligiöses Europa" erst im Entstehen.
Konfliktforschung
Das Projekt findet im Rahmen der diesjährigen "europäischen Kulturhauptstadt" Graz in Kooperation mit der Stadt Sarajevo statt. Ziel ist, vorrangig städtische Beiträge zu einem verbesserten Zusammenleben der Kulturen herauszuarbeiten und weiterzuempfehlen. Und damit "den Rechten den Wind aus den Segeln zu nehmen", unterstreicht Kumpfmüller. Probleme - vom Schächten über das Kopftuch bis hin zu Begräbnisritualen - und bereits vorhandene Lösungen wurden systematisch gesammelt. Präsentiert werden sollen die so genannten "best practice"-Beispiele aus europäischen Ländern, wo das multikulturelle Zusammenleben - allen Unkenrufen zum Trotz - sehr wohl funktioniert. Ein Beispiel ist ein Kindergarten in London, der sowohl von Israelis als auch von Palästinensern besucht wird.
Durch die neuen Migrationsbewegungen seien heute "Leute gezwungen zu erkennen, dass sie, wenn sie auch noch vor kurzem zur Mehrheitskultur gehört haben und nun in einem anderen Land Arbeit oder Zuflucht finden, plötzlich in einer Situation sind, wo sie zu einer Minderheit gehören" - und umgekehrt. Gerade das Potenzial einer qualifizierten Minderheit und der Jugendlichen gelte es zu nützen, so Kumpfmüller. Und der Friedens- und Konfliktforscher ist überzeugt: "Es funktioniert, wenn die Vernunft siegt." Notwendig seien pragmatische Lösungen. Dazu gehört zum Beispiel auch die Forderung nach standardisierten Schulbüchern, die etwa beim Thema Judentum oder Islam nach einem gemeinsamen Ansatz in ganz Europa gegengelesen werden, um einseitige Darstellungen zu vermeiden.
Europaweiter Standard
Das "Projekt: Interreligiöses Europa" ist als ein "Dialog auf Basisebene" angelegt, an dem sich stolze 300 Teilnehmer von acht Weltreligionen aus 40 Ländern ganz Europas beteiligen werden. In der vom Grazer Friedensbüro seit 1998 vorbereiteten Drei-Tages-Veranstaltung haben sich - nach anfänglichem Widerstand - letztlich auch Vertreter der Katholischen Kirche Österreichs eingeklinkt. Kooperationspartner sind weiters der Europarat, das Europäische Parlament und die Kommission sowie die UNESCO und die Stiftung Weltethos.
Die Veranstalter wollen bewusst nichtreligiöse Menschen ebenfalls zur Erarbeitung von Lösungsansätzen einbinden. Es dürfe keine begriffliche Einengung auf einen "transzendentalen Gottesbegriff" geben, lehnt Friedensforscher Kumpfmüller denn auch die Festschreibung eines Gottesbezuges in der neuen EU-Verfassung ab. Damit würden nicht nur Nichtreligiöse, sondern auch Buddhisten oder die zahlreichen europäisierten Afrikaner vor den Kopf gestoßen. Vielmehr sollten humanistische Grundsätze wie Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Wahrheit angesprochen werden.
Die Eröffnungsveranstaltung zur "Europäischen Begegnung" am Sonntag Abend ist öffentlich zugänglich, Beginn: 20 Uhr 30, Schlossberg (Kasematten).
Nähere Infos unter Tel. 0316/872-2183 oder im Internet unter http://www.friedensbuero-graz.at/de/index.htm