Nick Barton: "Asexuelle Fortpflanzung wäre eine sehr schlechte Idee."
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"Wiener Zeitung":Für Ihre Forschung in der evolutionären Populationsgenetik erhielten Sie den mit 15.000 Euro dotierten Erwin-Schrödinger-Preis 2013 der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Was motivierte Ihre Entscheidung für das Fachgebiet?Nick Barton: An der Universität Cambridge wollte ich mich in Physik spezialisieren. Doch Biologie interessierte mich mehr, daher wechselte ich zu Genetik. Für meine Doktorarbeit machte ich eine Feldstudie zur Chromosomenverteilung eines Grashüpfers in den Alpes Maritimes, weil ich gerne in den Bergen arbeiten wollte. Nachdem ich in meinem Zelt die Chromosomenverteilung des Grashüpfers untersucht hatte, konnte ich anhand der Muster mathematische Modelle erstellen.
Wie nützlich sind die Modelle im Vergleich zum Grashüpfer?
Evolution ist ein genereller Prozess, der alle Organismen betrifft, die sich sexuell fortpflanzen - die Regeln der Vererbung sind für Erbsen, Insekten, Schmetterlinge Mäuse und Menschen gleich und lassen sich bei allen Arten mit denselben mathematischen Modellen beschreiben. Die Modelle sind essenziell, um diese Prozesse quantitativ zu begreifen.
Wie funktioniert Evolution ohne sexuelle Fortpflanzung - etwa bei Organismen, die sich durch Zellteilung vervielfältigen?
Fast alle Organismen tauschen ihre Gene aus, sogar Amöben. Ohne sexuelle Rekombination wäre die Evolution sehr langsam und ineffizient. Sie würde zwar stattfinden, aber nur in sehr großen Populationen und sehr ineffektiv. Nehmen wir an, viele verschiedene erfolgreiche Gene tauchen in einer Population auf und konkurrieren miteinander. Die einzige Art und Weise, sich zu begegnen, ist durch Sex. Asexuelle Fortpflanzung wäre also eine sehr schlechte Idee.
Was ist Ihr Lieblingsprojekt?
In einer Gruppe um Michael Turelli von der University of California in Davis wollen wir Dengue-Fieber in Südostasien ausschalten. Die Idee ist, die Moskitos, die die Krankheit übertragen, mit einem in der Natur vorkommenden Bakterium zu infizieren, das sie Virus-resistent macht. Somit können sie kein Dengue-Fieber weitergeben. Entsprechende Versuche laufen derzeit in Australien. Mit meinen mathematischen Formeln lässt sich die optimale Strategie berechnen, um die Bakterien in die Mücken-Populationen einzuführen. Die Evolution arbeitet mit uns: Es ist im Interesse der Moskitos, Virusinfektionen abzuwehren, und Dengue-Fieber wird dabei verdrängt.
Sie helfen den Insekten, als resistente Art zu evolvieren?
Ja, allerdings ist das nicht Evolution im strengen Sinn, denn es ändern sich ja keine Insekten-Gene. Vielmehr bauen wir eine Infektion mit Bakterien in die Insekten ein nach dem Vorbild eines natürlichen Prozesses, der Seuchenübertragung verhindert.
Was ist, wenn sich zu viele dieser Bakterien verbreiten? Können Sie mit Ihren Modellen auch die Evolution vorausberechnen?
Die Biologie können wir nicht vorhersehen, nur versuchen, sie möglichst gut zu verstehen. Denn je besser wir natürliche Variation in natürlichen Systemen verstehen, desto robustere Systeme können wir schaffen, etwa in der Landwirtschaft oder Medizin.
Sie befassen sich auch mit Artgrenzen und räumlichen Grenzen. Wie spielen die zusammen?
Zum Beispiel gibt es eine geographisch schmale Grenze zwischen Rotbauch- und Gelbbauchunken im Donaubecken. Dort trennt ein sechs Kilometer breiter Streifen die beiden Arten voneinander. Dadurch können wir das Spannungsfeld zwischen Vermischung der Gene durch Paarung und Selektion - also wann die Unken ihre eigenen Charakteristika angepasst an das eigene Habitat behalten - studieren. Wenn man die Details beobachtet, kann man abschätzen, wie viele Gene daran beteiligt sind, wie stark die Selektion ist und wie weit sich die Unken von einer Generation zur nächsten entwickeln.
Gibt es Orte ohne Evolution? Auf dem Mars findet man Zeichen von möglichem vergangenen Leben. Könnte dort die Evolution aufgehört oder nicht angefangen haben?
Wir wissen nicht, ob auf dem Mars jemals Leben startete. Die Entstehung von Leben scheint ein sehr unwahrscheinliches Ereignis zu sein. Viele Planeten, die wir bisher entdeckt haben, scheinen nämlich grundsätzlich einmal bewohnbar zu sein. Doch die Gründe, warum Leben entsteht, sind durchaus unklar.
Welches Projekt möchten Sie hier als Nächstes realisieren?
Ich interessiere mich für die Evolution von Computer-Berechnungen. Anstatt dass man Computerprogramme schreibt, verwendet man dabei die Mechanismen der Selektion und der Rekombination, um ein Computerprogramm zu evolvieren. Es gibt wenig theoretisches Verständnis, wie man das am besten macht, und die Evolutionsbiologen könnten dabei helfen, um Evolution als Design-Prozess zu nutzen. Es ist also ein Design durch Zufallsselektion statt Intelligentes Design. Allerdings denken wir dabei an sehr simple Applikationen.
Zur Person
Nick Barton,
1955 geborener britischer Evolutionsbiologe, 2008 erster Professor am IST Austria, hat viele Auszeichnungen erhalten - wie nun den Schrödinger-Preis der ÖAW, die zugleich drei Geisteswissenschaftern den Wilhelm-Hartel-Preis 2013 verlieh: dem Sprachwissenschafter Hans Goebl, dem Historiker Ernst Hanisch und der Philosophin Elisabeth List.
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