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Leben nahe der Front in der Ostukraine

Von Thomas Seifert aus Awdiiwka (Text und Fotos)

Politik
Natalia, 64 Jahre, wohnt seit vielen Jahren in Krasnogorowka.

Trotz Wiederaufbauanstrengungen der ukrainischen Behörden verlassen viele junge Menschen die Konfliktregion.


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Ein Hauch von Normalität mitten im Krieg in der Stadt Krasnogorowka.

Awdiiwka. Pawlo Wolodimirow ist Bürgermeister der Stadt Awdiiwka. Awdiiwka liegt nicht weit entfernt von der Frontlinie, die zwischen der ukrainischen Armee und prorussischen Separatisten verläuft. Hier wurde immer wieder heftig gekämpft, in Teilen des Stadtgebiets, die nahe der von den Separatisten kontrollierten Stadt Donezk liegen, gibt es bis heute regelmäßig zum Teil heftige Feuergefechte. Der von der Armee eingesetzte Bürgermeister Wolodomirow steht vor einem überdimensionalen Stadtplan und referiert: "Awdiiwka hat rund 5000 Gebäude, 1289 Gebäude wurden bei den Kämpfen zerstört oder beschädigt. Vor dem Ausbruch des Krieges haben rund 35.000 Einwohner in der Stadt gelebt, am Höhepunkt der Kämpfe im Sommer 2015 sind nur mehr 7000 geblieben, heute sind es wieder zwischen 26.000 und 27.000 Menschen, die in Awdiiwka leben."

Umfehdete Stadt an der Front

Die Stadt bleibt umfehdet: Sie ist einerseits ein strategisch wichtiger Verkehrsknotenpunkt, Awdiiwka beherbergt aber auch ein riesiges Kombinat des Oligarchen Rinat Achmetow, ein Kokswerk, das von enormer wirtschaftlicher Bedeutung für die gesamte Region ist und das immer wieder Ziel von Artillerieattacken war. In Awdiiwka ist bis heute kein Ort sicher, sagt der Bürgermeister, denn die Artillerie der Separatisten könne die gesamte Stadt bedrohen. Allein im Kokswerk habe es im Verlauf des Krieges sechs Tote gegeben.

Nur mehr wenige Menschen wohnen nahe der Front in Krasnogorowka.

Bürgermeister Wolodowmirow hat eine Mission: "Mein Ziel ist es, zu zeigen, dass das Leben in Awdiiwka viel besser ist als auf der anderen Seite. Daher müssen wir dafür sorgen, dass in Awdiiwka wieder ein normales Leben möglich ist."

Wolodimirow berichtet aber von einer Reihe von Problemen, die zu lösen sind: So sei etwa das Brauchwasserversorgungssystem des Kokswerks beschädigt. Beim Verkoken von Kohle benötigt man zum Ablöschen der heißen, glühenden, Kohle Unmengen von Wasser - das aber oft fehlt.

Wolodimirow führt in einer Blitztour durch die Wiederaufbauprojekte. Als Erstes: die Schule. Die Gebäude wurden im Krieg beschädigt oder zerstört, in den vergangenen Monaten wurde alles repariert. Ein neuer Turnsaal, frisch gestrichene Wände in bunten, poppigen Farben.

Nächste Station: das Spital, genauer, Awdiiwska Tsentralna Miska Likarnya, das städtische Zentralhospital von Awdiiwka.

Pawlo Wolodimirow, Bürgermeister von Awdiiwka (rechts im Bild).

Die Primar-Ärztin Irinia Viktorinaführt durch die Stationen der Klinik. Unfallabteilung, Gynäkologie, Interne Abteilung, Chirurgie - 150 Spitalsbetten, von denen derzeit 120 belegt sind. Das Spital arbeite normal, Teile des Spitals seien aber noch immer beschädigt: Anstelle von Fenstern, die bei Granatenexplosionen in der Nähe geborsten sind, sind in manchen Fensterstöcken Spanplatten montiert, die Schäden an Gebäude und Ausstattung sind enorm, es müssten laut Bürgermeister Wolodomirow mindestens 80 Millionen ukrainische Griwna (entspricht rund 2,5 Millionen Euro) in die Sanierung der Klinik investiert werden. Der Bürgermeister hat noch viel Arbeit vor sich.

Nur die Alten sind geblieben

Opytne, ein Dorf ein paar Kilometer nördlich des umkämpften Flughafens von Donezk. Opytne liegt ganz nah an der sogenannten Kontaktlinie - die eigentlich eine Trennlinie ist - zwischen Separatistengebiet und der von der Regierung in Kiew kontrollierten Region. Vor dem Ausbruch des Konflikts lebten hier rund 800 Menschen. Heute sind es weniger als 40, nur die Alten sind geblieben. Zwei Schwestern, Zina und Maria führen durch Opytne. "An dieser Stelle ist im Jahr 2015 eine junge Frau ums Leben gekommen", erzählt Maria und deutet auf einen völlig zerstörten, mittlerweile überwachsenen Balkon. Der Granateneinschlag ist deutlich an der Hausmauer zu sehen. Im 120 Meter von der Stelle entfernten Haus der beiden älteren Schwestern leben insgesamt nur mehr vier Menschen, das Dach des Hauses wurde seit dem Beginn des Konflikts viermal beschädigt. In Opytne gibt es kein Haus, das unversehrt geblieben ist, wochenlang war das Dorf ein Gefechtsfeld. Seit fast fünf Jahren gibt es hier im Dorf keinen Strom, kein Leitungswasser und kein Gas. Wie kommen die beiden Frauen über die Runden? Das Rote Kreuz hat Hühner und Hühnerfutter zur Verfügung gestellt zudem würden Angehörige Geld schicken.

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Es ist Abend geworden in Opytne - die Zeit, an der die Scharmützel nahe dem Dorf beginnen. Man kann die Schüsse immer deutlicher hören. Die beiden Frauen, Maria und Zina sagen, es sei jetzt besser, möglichst rasch das Dorf zu verlassen. Wenn die Nacht einbricht, wisse man nie, was passiert.

Ein Hauch von Normalität

Krasnogorowka ist zwar nur 10 Kilometer Luftlinie von Oypne entfernt, aufgrund des Frontverlaufs muss man aber mit einer Strecke von Rund 40 Kilometern rechnen. Auch in dieser Stadt hört man immer wieder Gefechtslärm. Die 64-jährige Natalia lebt in einer Plattenbausiedlung in Krasnogorowka nahe der Gefechtszone. Auch in ihrer Siedlung sind nur mehr alte Menschen geblieben, viele junge sind weg, berichtet Natalia. Der Strom fällt oft aus, die Schießereien hört sie schon gar nicht mehr. Warum überhaupt geschossen wird? Natalia zuckt mit den Achseln.

Es alles andere als leicht, den Krieg in Krasnogorowka zu vergessen. Doch nicht weit von Natalias Plattenbausiedlung, gleich hinter der Kirche, versuchen es die Menschen für ein paar Stunden lang. Man hört die Musik schon aus der Ferne. Ein Geistlicher hat zu einer Party geladen. Es wird gelacht, gegessen und gemeinsam gesungen - ein paar erste, zarte Flirts der Jugendlichen. Ein Stück Normalität mitten im Krieg.