Deutsch wird Nachfolger von Muzicant.| Engelberg scheint nahezu chancenlos.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Wiener Zeitung": Sie haben vor kurzem ihren 60. Geburtstag gefeiert. Wie angekündigt, treten Sie daher am Dienstag als Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde zurück. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Oskar Deutsch ihr Nachfolger wird?Ariel Muzicant: Hundert Prozent, weil wir mit der Liste "Atid" (bedeutet "Zukunft", Anm.) über eine qualifizierte Mehrheit im Vorstand verfügen und es keinen Gegenkandidaten gibt. Oskar Deutsch ist seit 25 Jahren Kultusvorsteher und seit 15 Jahren Vizepräsident. Den kennen die Leute und haben Vertrauen zu ihm.
Und im November, wenn die Kultusgemeinde einen neuen Vorstand wählt, der den Präsidenten ernennen wird - welche Chancen hat Deutsch dann?
Zunächst muss man einmal sehen, wer überhaupt kandidiert. Derzeit bringen sich ja verschiedene Leute mit irgendwelchen Erklärungen in Stellung. Es ist in der jüdischen Gemeinde sehr schwer, von null auf hundert durchzustarten. Niemand hat eine absolute Mehrheit bei uns, da sind auch Koalitionen notwendig. Es ist nicht so, dass man einfach antritt und sagt: "Ich bin der neue Präsident." Da muss man vielmehr auch etwas vorweisen, so wie Oskar Deutsch. Die Schwierigkeit von Leuten wie Martin Engelberg ist, dass sie nie etwas für die Gemeinde gemacht haben.
Martin Engelberg - er kündigte an, dass er im November mit der Liste "Chaj", was so viel wie "Jüdisches Leben" bedeutet, neuer Präsident werden möchte. Die Kultusgemeinde brauche eine moderne, jüdische Identität, bei der der Schrecken der Shoa nicht mehr vorrangig ist . . .
Ich bitte hier um Verständnis, dass ich dazu nichts sage. Ich möchte keinen innerjüdischen Wahlkampf über österreichische Medien führen. Das ist im Judentum verpönt, ich mache so etwas nicht. Ein Wahlkampf ist innerhalb der Gemeinde zu führen.
Läuft die jüdische Gemeinde nicht Gefahr, durch das Festhalten an der Opferrolle weiterhin zum Opfer zu werden?
Wenn man ihnen vor 70 Jahren Dreiviertel der Familie umgebracht hat, tun Sie sich sehr schwer, das zu vergessen. Das heißt aber nicht, dass wir in der Vergangenheit leben, sondern, dass wir ein ausgeprägtes Gedächtnis haben. Das ist nun einmal so im Judentum. Die Vergangenheit sollte man nicht unter den Teppich kehren, so wie das manche Herrschaften gern hätten. Aber man sollte sich um die Leute heute kümmern, wie wir es seit Jahrzehnten machen.
Sie waren 14 Jahre lang Präsident und sind seit 42 Jahren in der Kultusgemeinde tätig. Auf welche Veränderungen sind Sie stolz?
Wir haben von null eine komplett neue Infrastruktur aufgebaut und mit Leben erfüllt. Wir haben in Wien fünf jüdische Schulen, ein großes soziales Netzwerk, das mehr als 4000 Menschen betreut, und ein komplett neu errichtetes Senioren- und Pflegeheim und vieles mehr.
Und wie sieht es in der Kultusgemeinde budgetär aus?
Wir haben das Budget so saniert, dass die Kultusgemeinde seit dem Jahr 2003 keine Schulden mehr macht. Wir haben stabile Verhältnisse und können uns selbst aus dem aufgebauten Immobilienvermögen versorgen. Unsere Betriebe, Schulen, Institutionen sowie circa 200 Vereine funktionieren bestens.
Welche waren die größten Brocken in dieser Zeit?
Blau-Schwarz, Jörg Haider und die Restitutionsverhandlungen, aus denen schließlich Entschädigungszahlungen resultierten.
Wie haben Sie sich Ihrer Ansicht nach geschlagen, zum Beispiel gegen die FPÖ?
Ziel ist, dass ich immer dann reagiere, wenn Politiker oder Persönlichkeiten Dinge tun, die wir nicht akzeptieren können. Wir können nicht akzeptieren, dass sich am Tag der Befreiung von Auschwitz Rechtsextremisten zu einem Ball in der Hofburg treffen. Die Demonstrationen waren sehr erfolgreich.
Sie haben einmal politische Differenzen innerhalb der Kultusgemeinde angesprochen: Sie wären Mitte-Links, Engelberg ÖVP-nah.
Ja, aber das ist nicht relevant. Das ist alles reiner Wahlkampf.
Welche Rolle nehmen Sie nach Rücktritt als Präsident in der Kultusgemeinde ein - laufen noch Projekte, die Sie vollenden wollen?
Ich bleibe Kultusvorsteher bis Jahresende und werde mich auch dann um bestimmte Bereiche wie Friedhöfe, Archive und das Wiesenthal Institut kümmern. Wir haben in Österreich 61 jüdische Friedhöfe, die saniert gehören. An dem arbeiten wir.
Zur Person: Ariel Muzicant
Der 1952 in Haifa, Israel, geborene Immobilien-Unternehmer ist seit 14 Jahren Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, davor war er 16 Jahre lang Vizepräsident. Zudem ist er einer der Initiatoren der Zwi-Perez-Chajes-Schule und war 15 Jahre für diese verantwortlich.
Wissen
In der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) sind 7800 Mitglieder registriert. In den restlichen Bundesländern sind es rund 350. In Wien leben etwa 15.000. Der Präsident der Kultusgemeinde wird vom Kultusrat für die Dauer von fünf Jahren gewählt, den ersten gab es 1863.