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Leben ohne Heim und Hoffnung

Von Michael Ellenbogen

Wissen

Für die meisten Menschen ist ein Leben auf der Straße in der Kälte des Winters oder der Hitze eines Sommers unvorstellbar. Doch gibt es auch in Wien eine nicht unbedeutende Anzahl von Menschen, die auf Grund widriger sozialer Verhältnisse ebenso wie aus eigenem Verschulden gezwungen sind, auf der Straße zu leben. Der Verein "Dach überm Kopf" hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen meist jungen, drogenkranken Männern und Frauen eine Wohnung sowie regelmäßige ärztliche Betreuung zu ermöglichen.


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Der Verein "Dach überm Kopf" wurde im Mai 2003 gegründet. Das Wohnprojekt, aus dem der Verein hervorging, besteht bereits seit März 2000. "Als die Anzahl der Obdachlosen mit HIV im damaligen Selbsthilfeverein "Menschen und Aids (Club Plus)" immer größer wurde, war klar, dass wir Wohnraumbedarf hatten. Denn wir konnten damals kaum glauben, dass Menschen trotz HIV-Infektion und deren Folgen obdachlos sein können," erzählt Christian Michelides, der engagierte Geschäftsführer des Vereines.

Die Zielgruppe, die von "Dach überm Kopf" betreut werden soll, sind meist junge Menschen, Frauen wie Männer mit HIV und AIDS, Substanzproblemen und daraus oft resultierenden psychischen Belastungen. Die Drogenabhängigkeit und der damit verbundene Konsum von Drogen ist auch bei diesem Wohnprojekt eine ständige Gefahr für Gesundheit und Leben der Bewohner. Betreuern und Mitbewohnern ist es in den vergangenen beiden Jahren oft gelungen, nach Überdosierungen rechtzeitig Rettung und Notarzt zu verständigen. Dabei konnte in 34 von 37 Fällen den Betroffenen das Leben gerettet werden.

"Aus diesem Grund sehen wir uns in unserem Konzept bestätigt, dass schwer substanzabhängige Menschen im Kontext einer betreuten Wohngemeinschaft wesentlich bessere Überlebens- und Resozialisierungschancen haben," erläutert Christian Michelides.

Regeln für das Zusammenleben

In jeder Familie sowie in jeder anderen sozialen Gemeinschaft gibt es Regeln, die das Zusammenleben überhaupt ermöglichen. Auch beim Verein "Dach überm Kopf", gibt es Regeln, die von den Klienten eingehalten werden müssen: Das erste und wichtigste Kriterium ist der kontrollierte Substanzkonsum mit legalen Substitutionsmitteln, die vom behandelnden Arzt verschrieben, vom Amtsarzt bestätigt und aus der Apotheke bezogen werden.

Eine weitere Regel ist ein Verbot der Weitergabe von Drogen innerhalb des Wohnprojektes, dazu zählen auch Medikamente und Schlafmittel. Prostitution ist den Klienten sowohl innerhalb als auch außerhalb ihres Wohnbereiches verboten ebenso wie Zuhälterei. Jegliche Form der Gewalt sowie der Besitz von Waffen sind auch Ausschließungsgründe. Die Teilnehmer des Wohnprojektes sind angehalten, gegenüber Mitbewohnern und Mitarbeitern ein akzeptables Sozialverhalten an den Tag zu legen. Die Regulierung allfälliger Schulden, sowie die Vermeidung von Mietrückständen ist auch eine der Regeln, die von den Bewohnern befolgt werden sollte. Derzeit werden 46 Personen in elf Wohngemeinschaften und vier Einzelwohnungen betreut. Diese verteilen sich nicht nur auf das Haupthaus in der Dampfschiffstraße 8, sondern auch auf Wohnhäuser in der Oberen Viaduktgasse und der Löwengasse. In den Wohngemeinschaften leben je nach Platzangebot zwischen zwei und maximal sechs Personen. "Die Finanzierung der Wohnungen wird durch die Mieteinnahmen aber auch durch Spenden ermöglicht. Die Einrichtung wird größtenteils aus Spendengeldern bestritten, die Mieteinnahmen werden zur Abdeckung der Betriebskosten und der Pacht verwendet," erklärt Michelides.

Die Betreuung der Bewohner wird vom Pflegegeld und einer Betreuungspauschale abgedeckt. Alle Klienten bezahlen Miete, für die zum großen Teil das Sozialamt aufkommt. Die im Wohnprojekt lebenden Personen müssen nur 44,52 Euro pro Monat beitragen. Die gesamten Mietkosten pro Wohnplatz belaufen sich inklusive Energiekosten, Einrichtung, Versicherung und Instandhaltung auf 325 Euro.

Helfen, den Alltag zu bewältigen

Der Verein "Dach überm Kopf" kümmert sich nicht nur um die Erhaltung des Wohnprojektes, sondern vor allem auch um die psychosoziale und medizinische Betreuung aller Klienten. Sorgen um die Diagnose und den weiteren Verlauf der Krankheit, Existenzängste, aber auch Beziehungsprobleme müssen beispielsweise die beiden Lebens- und Sozialberaterinnen Tina Lindner und Elfriede Huemer-Zimmermann, sowie Ingrid Guth, Allgemeinmedizinerin und Psychotherapeutin, gemeinsam mit den Bewohnern bewältigen.

Auch der Allgemeinmediziner und Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Albert Syen und Rudolf Wyss, ausgebildeter Psychologe, Pädagoge und Psychotherapeut, stehen den jungen Frauen und Männern sowohl bei der Linderung ihrer körperlichen ebenso wie ihrer seelischen Leiden zur Verfügung. Ein Drittel der Bewohner vertraut die Bezüge, die sie vom Arbeitsmarktservice, Pension, Krankengeld oder Sozialhilfe beziehen, der Klientenkasse an, die vom Verein "Dach überm Kopf" eingerichtet wurde. Die Klienten erhalten entsprechend ihrem Lebensbedarf, ihrer Stabilität und auf Grund ihrer eigenen Entscheidung ein, zwei-, manchmal dreimal in der Woche ihr Geld ausbezahlt. Mit diesem System lassen sich Rückfälle in den ungehemmten Drogenkonsum vermeiden. Auf diese Art und Weise kann sichergestellt werden, dass den betroffenen Personen auch am Monatsende genügend Geld für Nahrungsmittel, Getränke, Hygieneartikel und Zigaretten zur Verfügung steht.

Nach langen Jahren der Obdachlosigkeit wird den Menschen des Wohnprojektes die Geldverwaltung als Übergangslösung empfohlen, die als Lernprozess im Umgang mit Geld verstanden werden soll. Nur bei Klienten und Klientinnen die einer sachwalterischen Betreuung unterliegen, wird die Geldverwaltung durch den Verein "Dach überm Kopf" als Dauerlösung akzeptiert.

Für viele obdachlose Menschen, die jahrelang das entbehrungsreiche Leben auf der Straße kannten, sind ein geheizter Wohnraum, eine Waschgelegenheit, regelmäßige Mahlzeiten und eine medizinische sowie psychologische Betreuung der Anfang zu einem neuen, geordneten Leben, in dem die meisten Betroffenen auch wieder kleinere oder auch größere Ziele haben.