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Weil immer alle selbsternannten Progressiven der katholischen Kirche Rückständigkeit bis an die Grenzen zur Reaktion (und gerne auch darüber hinaus) vorwerfen: Sie ist immerhin die erste, historisch traditionell westlich zentrierte Institution, die nicht immer nur von der theoretischen Notwendigkeit einer globalen Ausrichtung redet, sondern mit der Wahl des Argentiniers Jorge Mario Bergoglio zum ersten Papst aus Südamerika auch Taten folgen lässt.
Als die große Politik zuletzt die Chance dazu hatte, bei der Chefpostenvergabe für Weltbank und Währungsfonds etwa, gewannen ein US-Amerikaner und eine Europäerin das Rennen. Wie bisher eben immer.
Die Kirche macht es Gläubigen und Kritikern nicht leicht. Die einen leiden an den menschlichen Verfehlungen Einzelner und an den Defiziten des Machtapparats; und nicht einmal die anderen können sich der Anziehungskraft einer Institution entziehen, die im Laufe ihrer 2000-jährigen Geschichte ihre visuellen und emotionalen Inszenierungskünste perfektionierte. Tatsächlich ist der Hype um die Wahl eines neuen Papstes nur mit der Wahl eines neuen US-Präsidenten zu vergleichen. In Sachen Ikonografie und Kommunikation war der Vatikan schließlich fast immer auf der Höhe der technischen Möglichkeiten. Die Neuen Medien befeuern den Hype noch weiter, statt ihm die Spitze zu nehmen.
Was die Sache mit der Kirche aus Sicht herkömmlich aufgeklärter Europäer noch komplizierter macht, sind die Widersprüche in ihrer politischen Programmatik (die Theologie ist bekanntlich Glaubenssache): Wie kann man in Fragen von Sexualmoral eine rigid konservative Haltung einnehmen, die Anwendung von Kondomen ablehnen, wiederverheiratet Geschiedenen die Kommunion verweigern und offen gelebte Homosexualität ablehnen - und trotzdem in Kampf gegen die Armut und die ungleiche Verteilung von Reichtum in prononciert linke Politik vertreten? Das passt, außer bei der Kirche, sonst nirgendwo zusammen.
Franziskus, der neue Papst, wird diesen Widerspruch wohl aufgrund seiner persönlichen Biografie noch weiter verstärken.
Die Kirche hat mit dieser Wahl einmal mehr bewiesen, dass sie nicht so stark von der Welt abgekoppelt ist, wie ihre Kritiker gerne behaupten. Den Berg an zu bewältigenden Aufgaben macht das nicht kleiner.