Bis 2020 soll es insgesamt 125.000 Hotelbetten geben. | Der Tourismus macht rund ein Fünftel des BIP aus. | Podgorica/Wien. Die gute Nachricht kam Anfang August: "Montenegro ist voll und kann keine weiteren Touristen mehr aufnehmen", verkündete Tourismusminister Predrag Nenezic. Seit Jahresbeginn sind rund 300.000 Touristen in das kleine Land an der südlichen Adria gereist - und das bei einer Einwohnerzahl von rund 672.000.
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Damit stieg die Zahl der Gäste um fünf Prozent, nachdem es im Juni mit minus fünf Prozent nach dem Krisenjahr 2009 noch kritisch ausgesehen hatte. Die Gäste kommen vornehmlich aus Serbien und Osteuropa, zahlungskräftige Gäste aus Westeuropa sind in der Minderzahl.
Der Tourismus nimmt mit einem Anteil von 20 Prozent am Bruttoinlandsprodukt einschließlich der Zulieferungen aus Nahrungsmittelindustrie, Bau, Transport, Handel und Gewerbe eine überragende Stellung im Land ein. Zum Vergleich: In Österreich sind es knapp neun Prozent. Die 600 Millionen Euro an Einnahmen aus dem Tourismus sind mehr als 40 Prozent der Exporterlöse.
Mehr Luxusklasse
Über Arbeitsmangel kann sich Tourismusminister Pedrag Nenezic nicht beklagen. Der Tourismus-Masterplan bis 2020 ist ehrgeizig: Die Zahl der Hotelbetten soll von 34.000 auf 125.000 um mehr als das Dreieinhalbfache steigen. Derzeit dominieren noch Zwei-Stern-Unterkünfte, bis 2020 sollen deren Zahl und Anteil rapide sinken. 62.000 neue Vier- und Fünf-Stern-Betten sind geplant.
Die Tourismusorganisation World Travel & Tourism Council sagt dem Tourismus in Montenegro mit über sechs Prozent pro Jahr ein besonders rasantes Wachstum voraus, die Tourismuseinnahmen sollen 2020 bei bereits zwei Milliarden Euro liegen.
Dazu bedarf es umfangreicher Investitionen, aber die Krise hat den ehrgeizigen Plänen einen Dämpfer versetzt. Die Tageszeitung "Vijesti" kritisiert, dass von 30 privatisierten Hotels 10 immer noch geschlossen und hässliche Investitionsruinen sind. Russische und spanische Investoren werden aufgefordert, ihren Verpflichtungen endlich nachzukommen.
Die Urlauber drängen sich zu mehr als 90 Prozent an den Stränden bei Herceg Novi, Budva, Bar oder Ulcinj. Der Tourismus in den landschaftlich reizvollen Schwarzen Bergen im Landesinneren steckt dagegen noch in den Kinderschuhen. In Küstennähe haben Alpenvereine einen Höhenwanderweg geschaffen, weiter in den Bergen gibt es Nationalparks, und der Fluss Tara fließt durch eine Schlucht, die es in ihren Ausmaßen mit dem Grand Canyon aufnehmen kann. Die Fragen im Tourismus lauten: Wie bringt man mehr Bergurlauber ins Land, und wie bringt man Badeurlauber in die Berge?
Auf dem Weg in die EU
Auch für die Gesamtwirtschaft sind es ereignisreiche Zeiten. Montenegro will im Herbst Kandidatenstatus für einen EU-Beitritt erlangen, Wirtschaftsexperten halten das für durchaus möglich. Langzeit-Präsident Milo Djukanovic hat 1999 die D-Mark als Zahlungsmittel eingeführt, ein erster Schritt zur Lösung Montenegros von Serbien, das durch seine Rolle im Jugoslawienkrieg international isoliert war. Die Übernahme des Euro 2002 war logisch. Das Referendum für die politische Selbständigkeit 2006 fiel knapp aus, besteht doch die Bevölkerung zu mehr als einem Drittel aus Serben.
Schien Montenegro 2007 mit mehr als 10 Prozent Wachstum noch ein ökonomischer Tiger am Balkan zu werden, so stritten 2009 Regierung und Internationaler Währungsfonds darüber, ob das Minus 5 oder doch 7 Prozent ausmache.
Besonders betroffen von der Krise waren das Stahlwerk in Niksic und das Aluminiumwerk KAP des russischen Oligarchen Oleg Deripaska bei Podgorica, das allein die Hälfte der montenegrinischen Industrie darstellt. Staatshilfen in dreistelliger Millionenhöhe wurde bereitgestellt. Trotzdem drohten zahlreiche Kündigungen. Arbeiter stürmten die Fabrik und warfen die Manager hinaus - die Kündigungen wurden zurückgezogen. Der geringe Industrieanteil an der Gesamtwirtschaft hat jedoch die Arbeitslosigkeit im Land von rund 15 Prozent nur wenig steigen lassen.
Streit gab es zwischen Regierung und Opposition um Staatshilfe für die Geschäftsbank Prva Banka, deren Hauptaktionär der Djukanovic-Clan ist, der zu den reichsten Politikerfamilien in Europa gehört. Steuergeld fließe für die Privatinteressen von Djukanovic, kritisierte die Opposition.
Bescheidenes Wachstum
Das auf Ost- und Südosteuropa spezialisierte Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) sieht die Krisenintervention des Staates als Erfolg, der nur möglich war, weil Montenegro in den Jahren zuvor Budgetüberschüsse erwirtschaftet hat und die Staatsverschuldung unter 30 Prozent des BIP halten konnte. Damit ist es jetzt vorbei, Defizite und Schuldenstand Montenegros werden zusehends steigen, prognostiziert das WIIW. Das Wirtschaftswachstum wird heuer noch ein kleines Minus haben und in den nächsten Jahren mit 2 bis 3 Prozent bescheiden ausfallen.