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Lebensgefahr per Mausclick

Von Alexandra Grass

Wissen
Das Potenzmittel Viagra ist die weltweit am häufigsten gefälschte Arznei.
© Pfizer

Arzneimittelfälschungen sind zehnmal lukrativer als der Drogenhandel.


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Wien. Richtig, wie gewöhnlich vom Arzt verordnet, eingesetzt, sollen Medikamente - mit allen ihren möglichen unerwünschten Nebenwirkungen - Krankheiten bekämpfen und damit Leben retten. Ob Antibiotika, Cholesterinsenker oder Chemotherapeutika. Handelt es sich dann jedoch um Arzneien aus dubiosen Quellen, ist der erwünschte Effekt oft nicht mehr sichergestellt.

Fiebersenker aus Insektiziden, Bodenwachs und Ziegelstaub, Hustensaft aus Lösungsmitteln, Antibiotika aus Talk oder die Antibabypille aus Reismehl. In gefälschten Medikamenten finden sich auch Inhaltsstoffe wie Aluminium, Uran, Arsen oder Blei. Also entweder kein, ein falscher oder zu wenig Wirkstoff - im schlimmsten Fall ist das lebensgefährlich. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass 200.000 von einer Million Malariatoten pro Jahr auf die Kosten gefälschter Malariamittel gehen.

Organisiertes Verbrechen

Weltweit laufe mit Arzneimittelfälschungen ein Geschäft ab, das viel problematischer sei als der Drogenhandel, gefährlicher als Kokain oder Heroin - und zehnmal lukrativer, warnt David Shore, Global Security Director für den EU-Bereich des US-Pharmakonzerns Pfizer.

Shore war 20 Jahre lang bei Scotland Yard in Sachen Drogenkriminalität tätig und hat damit den direkten Vergleich. "Bei den gefälschten Arzneimitteln hat man es mit ähnlichen Strukturen des organisierten Verbrechens zu tun. Doch es fehlt an Problembewusstsein, rechtlichen Regelungen und an Personal bei den Behörden", betonte der ehemalige Kriminalist.

Schon alleine anhand der Pfizer-Daten sieht man die Tragweite des Problems: In 106 Staaten der Erde wurden gefälschte Präparate, wie etwa Viagra, registriert. 2012 wurden allein in Großbritannien 4,6 Millionen Dosen beschlagnahmt. Vom Wildwuchs betroffen sind auch die Produkte anderer Pharmafirmen wie Roche, Astra Zeneca oder Merck.

Erst jüngst wurden in Österreich im Rahmen einer Schwerpunktaktion des Zollamtes Wien, der Ages und des Innenministeriums innerhalb einer Woche 4140 illegale - vor allem über das Internet bestellte - Medikamente sichergestellt. Die Aktion lief unter dem Namen "Pangea" in insgesamt 100 Ländern. Dabei wurden Waren im Wert von mehr als 31 Millionen Euro beschlagnahmt. "Das ist ein Riesengeschäft", so Shore. Ein modernes Krebsmittel kostet pro Monat immerhin zwischen 3000 und 6000 Euro.

Das Fälschen von Arzneimitteln ist damit nicht nur gewinnträchtig, sondern auch technisch problemloser, viel schwerer zu entdecken und vor allem mit wesentlich geringeren Strafen sanktioniert als die Herstellung und der Handel illegaler Suchtstoffe.

Produktionsstätte Asien

Produziert wird vor allem im asiatischen Raum - oft in verschmuddelten Hinterzimmern. Besonders fälschungsgefährdet sind hochpreisige Medikamente, die einen hohen Umsatz bringen. In den Entwicklungsländern sind es vor allem akut lebensrettende Präparate, in den Industrieländern sogenannte Lifestyle-Pharmaka wie Hormone, Vitaminpräparate oder Cholesterinsenker. Laut WHO ist das Potenzmittel Viagra das weltweit am häufigsten gefälschte. Wer aber denkt, ein Plagiat würde man sofort erkennen, der irrt gewaltig. So sehen nicht nur die einzelnen Pillen für den Laien ident aus, sondern häufig auch die Verpackungen.

In Österreich könne man sich, hebt Shore hervor, "zu 99,99 Prozent" in Sicherheit wiegen, wenn man sich in die Hand der heimischen Apotheker begibt. Kritischer werde die Sache jedoch im Internethandel oder außerhalb der Landesgrenzen. Ab 2017 soll ein neues EU-System in Europa Verbesserungen bringen. Jede einzelne Arzneimittelpackung wird dann eine Seriennummer erhalten, die bei der Abgabe in der Apotheke überprüft wird. "Das wird viel bringen, aber alle Vorkehrungen können auch missbraucht werden", warnt Shore.