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Lebenslang aus dem Bauch heraus

Von Petra Tempfer

Recht

Der Druck, die Geschworenengerichtsbarkeit zu reformieren, hat sich erhöht. Geschworene sollen ihr Urteil zumindest begründen müssen.


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Wien. Der einfache Hendldieb weiß, warum er vor Gericht verurteilt wurde. Er bekommt eine Begründung in die Hand, auf der auch eine etwaige Berufung aufbauen kann. Der zu lebenslanger Haft verurteilte Mörder weiß das nicht. Die acht Geschworenen, die per Zufallsprinzip ausgewählt werden und bei Prozessen mit hohen Strafen wie Mordprozessen per Stimmenmehrheit entscheiden, müssen keine Begründung dafür abliefern. Es ist allein deren Bauchgefühl, das zählt.

Diese Tatsache sorgt seit Jahren für Diskussionen, eine Reform der Geschworenengerichtsbarkeit stand nicht erst einmal im Raum. Geschworene fällen zwar nur in 0,5 Prozent aller Verfahren ein Urteil - seit jenem im September über den Amokfahrer von Graz, der entgegen der Sachverständigen-Gutachten für zurechnungsfähig erklärt wurde, oder jenem, das für einen Freispruch aller Mitangeklagten in der Causa Aliyev sorgte, scheint sich der Druck jedoch erhöht zu haben. Dienstagabend widmete sich die erste Diskussionsrunde der Veranstaltungsreihe "Strafrecht - Im Brennpunkt des Rechtsstaates" am Landesgericht Wien diesem Thema.

"Viele Unschuldige verurteilt"

Ein erster Schritt wäre, dass Geschworene ihr Urteil begründen müssen, sagte Landesgerichtspräsident Friedrich Forsthuber. Zustimmung erhielt er vom Präsidenten der Vereinigung der Staatsanwälte, Gerhard Jarosch, und Helmut Fuchs vom Institut für Strafrecht. Die Begründung sollte aber nicht etwa so erfolgen, so Jarosch, dass "eine Art Notar" bei den Geschworenen sitzt und ein Urteil verfasst. Vielmehr müsse das einer der drei Berufsrichter tun, die ohnedies im Anschluss über das Strafausmaß entscheiden und auch den Wahrspruch der Geschworenen aussetzen können. Eine weitere Möglichkeit wäre eine zweite Tatsacheninstanz. In jedem Fall aber wäre es laut Jarosch nicht mit kleinen Schritten getan, sondern Zeit für eine große Reform. Fuchs zufolge wäre auch eine Teilnahme aller Parteien bei der Rechtsbelehrung der Geschworenen denkbar, um einer Beeinflussung entgegenzuwirken.

Strafverteidiger Rudolf Mayer legte aus dem Publikum nach: "Bei Geschworenen kann ich nur zittern, zu welcher Entscheidung sie kommen, die sie nicht einmal begründen müssen." Viele Unschuldige würden dadurch verurteilt.

"Ruf nach noch mehr Staat"

Stimmt nicht, konterte Richard Soyer, Vorsitzender der Strafrechtskommission des Rechtsanwaltskammertags, der als Kontrapunkt ein brennendes Plädoyer für die Beibehaltung der Geschworenengerichtsbarkeit hielt. Dass diese eine höhere Fehlerquote hätte, sei empirisch nicht erwiesen. Geschworene lebten vielmehr den Grundsatz der Unmittelbarkeit, seien nicht betriebsblind und arbeiteten gegen den Schulterschluss zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht. Der Ruf nach deren Abschaffung sei "ein Ruf nach noch mehr Staat, nach mehr Obrigkeit". Die Geschworenengerichtsbarkeit sei ein Kind der Revolution von 1848.

Die Zeiten hätten sich aber geändert, so die Antwort. Deutschland etwa hat sie schon 1924 wieder abgeschafft. Auch in Österreich wäre eine Reform nächsten Sommer möglich, sagte SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim. "Wenn die Koalition noch steht." Aus dem Justizministerium heißt es: "Wenn sich eine Mehrheit für eine Reform findet, stehen wir dazu bereit." Es gehe um eine rechtsstaatliche Nachvollziehbarkeit der Urteile im Sinne der Notwendigkeit einer Begründung. Schon 2009 habe sich eine Arbeitsgruppe damit befasst, die 2011 einen Schlussbericht präsentierte, auf dem man aufbauen könnte.