"Das schlimmste ist nicht der Tod, sondern Hass und Gewalt." Diese Zeilen schrieb Genevieve De Gaulle-Anthonioz, die am 14. Februar im Alter von 81 Jahren gestorben ist, in ihrem Buch über ihre Gefangenschaft im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Die Freiheitskämpferin und Nichte von General Charles De Gaulle widmete ihr Leben nach dem Krieg dem Kampf gegen Armut und Ausgrenzung und wurde weit über Frankreichs Grenzen hinaus als moralische Autorität geachtet und mit Auszeichnungen geehrt.
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Nach der Niederlage Frankreichs im Juni 1940 schloss sich die damals zwanzigjährige Genevieve De Gaulle der französischen Widerstandsbewegung an. Die Geschichtsstudentin, die auch aktiv in der Pfadfinderbewegung tätig war, leiste Kurierdienste und vermittelte Kontakte, bis sie am 20. Juli 1943 in einer Pariser Buchhandlung den Nazis in die Hände fiel. Von Jänner 1944 bis Ende Februar 1945 war sie als Häftling Nummer 27 372 im KZ Ravensbrück inhaftiert. Himmler versuchte mehrmals, sie als Geisel für einen Separatfrieden zu benutzen.
In ihrem Buch "Durch die Nacht" (Arche Verlag) schildert Genevieve De Gaulle Jahrzehnte später ihr Leben im Bunker von Ravensbrück: "Ich erlebte das Abscheulichste, dessen Menschen fähig sind. Ich erlebte aber auch das Grossartigste, dass Menschen noch in der prekärsten Lage sich Achtung und Liebe entgegenbringen und solidarisch sind - die einzigen Waffen im Widerstand gegen den Horror".
Am 28. Februar 1945 wurde Genevieve de Gaulle in die Schweiz freigelassen. Zurück in der Heimat widmet sie sich den KZ-Überlebenden und später der Unterstützung der Außenseiter der französischen Gesellschaft. Sie gehörte einem Komitee an, in dem Frauen ehemalige Häftlinge betreuen. Ab 1958 arbeitete sie, die inzwischen vierfache Mutter war, mit ihrem Mann Bernhard Anthonioz beim Aufbau des Kulturministeriums, das Andre Malraux übernommen hatte.
Die Begegnung mit Pater Joseph Wresinski wird dann zum Meilenstein im Leben von Genevieve de Gaulle-Anthonioz. Wresinski hatte sich gemeinsam mit Abbe Pierre der Armut in dem Slums der Pariser Vorstädte angenommen. Nach einem Lokalaugenschein stellte Genevieve De Gaulle-Anthonioz erschüttert fest. "Ich sah in den Gesichtern jener Leute dasselbe, was ich in den Gesichtern meiner Kameradinnen in den KZ gesehen hatte, nämlich die Erniedrigung und die Hoffnungslosigkeit menschlicher Wesen, die dafür kämpften, ihre Würde nicht zu verlieren." Vierzig Jahre lang, bis zu ihrem Rückzug aus Gesundheitsgründen im Jahr 1998 kämpfte sie mit der Bewegung ATD Quart Monde gegen diese neue Armut, seit 1964 als Präsidentin. Ihr Motto war: "Auch wenn man die höchste Mauer vor sich hat, irgendwo findet man immer eine Stelle, an der man diese Mauer unterhöhlen kann. Auch die Berliner Mauer ist schließlich gefallen."