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Lebenslanges Lernen andersherum

Von Jörg Mirtl

Politik
Zweitsprachen können schon von frühester Kindheit an erlernt werden. Foto: Bilderbox

Zweisprachige Erziehung liegt voll im Trend. | Babys sind äußerst aufnahmefähig für andere Sprachen. | Sprachförderung hat nur ohne Überforderung Sinn. | Wien. Die Krabbelstube "Baby-Oase" in der Wiener Wasagasse hat auf den ersten Blick nichts Außergewöhnliches an sich. An den Wänden hängen bunte Tierfiguren, in den Ecken liegt Spielzeug auf dem Boden, Kindermöbel stehen umher.


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"Aquí tenemos un tren", sagt Nura Manso und hält einen Zettel in die Luft. Die Kinder machen große Augen, nehmen die Zettel und bemalen eine darauf abgebildete Lokomotive. Die in Salamanca geborene Nura Manso ist Spanischlehrerin für Kleinkinder und Babys. Sie zeigt den Kindern die Abbildung einer Maus: "¿Eso es un... ?"

"Ratón!", ruft die kleine Sita. Ihre Mutter Angela Stummer möchte ihre dreijährige Tochter von frühester Kindheit an mit anderen Kulturen konfrontieren und spricht mit ihr gelegentlich Englisch oder kauft ihr holländische Kinderbücher. Stummers Nachbarn sind Kolumbianer, Sitas Spielgefährte spricht nur Spanisch. Die kleine Sita hat diese Sprache deswegen auch schon ein bisschen mitbekommen. Noch besser gefällt ihr jedoch Englisch. "Tumma Yes reden", sagt sie, wenn sie mit ihrer Mutter Englisch sprechen möchte.

Die in der Krabbelstube anwesenden Eltern sind sich jedoch einig, dass es sehr schwierig ist, sein Kind zweisprachig zu erziehen. Nur allzu oft vermischen Kinder die beiden Sprachen. Susanne Köb, Leiterin des Vereins "Estrellas", zu Deutsch "Sterne", ist die Organisatorin dieser Spielgruppe.

"Die Motive für die sprachliche Frühförderung sind so unterschiedlich wie die Eltern der Kinder", meint Köb. Sprachunterricht für Kleinkinder und Babys wird immer mehr zum Trend. Neben zweisprachigen Eltern oder jenen, welche die interkulturelle Kompetenz ihrer Kinder fördern möchten, gebe es, so Köb, jedoch auch überehrgeizige Eltern, die ihren Kindern um jeden Preis Zweisprachigkeit aufzwingen wollen. Von Erfolg gekrönt seien derartige Versuche jedoch nur in Ausnahmefällen.

Sprachunterricht: "Je früher, desto besser"

Zweisprachigkeit wird dennoch zum Verkaufsschlager. Die Franchise-Firma Helen Doron bietet fertige Konzepte an und verspricht dabei, dass Kinder im Nu Englischkenntnisse vermittelt bekommen. Hinter dem Namen Helen Doron verbirgt sich eine israelische Sprachwissenschafterin, die Kurse entwickelt hat, um Kinder schon ab drei Monaten in der englischen Sprache zu unterrichten. Auch in Österreich setzen bereits einige Sprachschulen für Kleinkinder und Babys auf diese Methode, die eine Stunde Unterricht pro Woche vorsieht. Zusätzlich sollen sich die Kinder und Babys zu Hause englische Lieder anhören.

Dass natürliche Zweisprachigkeit also Verhältnisse, wie sie bei Kindern zweisprachiger Eltern vorherrschen , mit nur einer Stunde pro Woche künstlich simuliert werden kann, bezweifelt die Psycho-Linguistin Chris Schaner-Wolles von der Universität Wien. Kleinkinder unterscheiden erst ab einem Alter von circa vier Jahren zwischen den verschiedenen Sprachen. Trotzdem kann schon davor eine unbegrenzte Anzahl von Sprachen erlernt werden die Sprachwissenschafter sprechen von "mehrsprachigem Einsprachenerwerb".

Solange jeweils eine Person eine bestimmte Sprache verkörpert, steht dem korrekten Erlernen von Zweit- und Drittsprachen nichts im Wege. Die gebürtige Belgierin Schaner-Wolles sagt: "Je früher, desto besser" der Sprachunterricht kann also gar nicht früh genug beginnen. Ob das Kind die Sprache erlernt, hängt davon ab, ob die Sprache an das Kind individuell angepasst ist. Sprachunterricht für Kleinkinder und Babys muss zeitintensiv sein und hat unter allen Umständen durch Muttersprachler zu erfolgen.

Wenn Jakob Steiner von seiner Familie spricht, verliert sich sein Blick in der Ferne. Der 34-jährige Wiener hat die halbe Zeit seines Lebens in Frankreich verbracht. Er hat dort studiert und gearbeitet, um nun wieder nach Wien zurückzukehren. Er hat gemeinsam mit seiner französischen Frau drei Töchter fünf, sieben und neun Jahre alt , die er zweisprachig erzieht. Im Sommer sollen sie ihm nach Wien folgen.

Obwohl Steiner perfekt Französisch spricht, hat er mit seinen Töchtern immer Deutsch geredet. "Es würde mir sehr komisch vorkommen, mit ihnen Französisch zu sprechen", sagt er. Im Gespräch mit seiner Frau, einer Deutschlehrerin, bedient er sich vor den Kindern stets der deutschen Sprache.

Neben sozialen Faktoren hängt das Erlernen einer Sprache, so die Kommunikationspädagogin Renate Csellich-Ruso, auch davon ab, wie schwierig die Grammatik der Sprache selber ist und wie sich die Persönlichkeit des Kindes gestaltet. Das Gehirn von Buben reift etwas langsamer als das von Mädchen. Noch bevor Kinder die Wortbedeutung verstehen, können sie bereits den Rhythmus und die Melodie der Sprache erkennen, und zwar bereits im Mutterleib. In der Regel verstehen Kinder Worte lange, bevor sie sprechen können.

Csellich-Ruso betont insbesondere das Zusammenspiel zwischen Sprachentwicklung und Körperentwicklung. Der Sprachbereich befindet sich im Gehirn in nächster Nähe zum Motorikbereich Kinder erlangen also gleichzeitig die Kontrolle über Mund und Beine. Insofern ist es von großer Wichtigkeit, Sprachunterricht für Kleinkinder und Babys spielerisch zu gestalten und großen Wert auf den Tastsinn zu legen. Nur durch individuelles Fördern ohne Überfordern hat Sprachunterricht Sinn.

Nur die klare Linieführt zum Erfolg

Zurück zu Jakob Steiner. Der studierte Architekt hat in der zweisprachigen Erziehung eine klare Linie verfolgt und das mit Erfolg. Jeder der beiden Elternteile steht für eine Sprache. Selbst die Bibliothek der Kinder ist ganz so wie die der Eltern immer klar zwischen den beiden Sprachen getrennt.