Global-2000-Experte: "Es braucht mehr Wertschätzung für Lebensmittel."
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Wien. Wenn zu Weihnachten Gans, Karpfen oder Braten und Kekse auf den Tisch kommen, landen anschließend besonders viele Essensreste im Müll. Vor allem für die Feiertage werden Lebensmittel im Übermaß angeboten und eingekauft. Insgesamt landen so durchschnittlich 179 Kilogramm pro Jahr und Europäer im Müll. In der EU summiert sich das jährlich auf 89 Millionen Tonnen. Weltweit wird laut Welternährungsorganisationen FAO ein Drittel der Nahrungsmittel verschwendet, was 1,3 Milliarden Tonnen Abfall verursacht.
Die meisten Aufklärungskampagnen informieren Konsumenten über richtige Lagerung und Mindesthaltbarkeitsdatum. Doch die Verantwortung liegt bei weitem nicht nur bei den Verbrauchern: 42 Prozent aller weggeworfenen Lebensmittel gehen auf das Konto der privaten Haushalte. Doch 39 Prozent kommen gar nicht bis ins Regal, sondern werden bereits während der Herstellung entsorgt. 14 Prozent gehen in der Gastronomie und fünf Prozent bei den Einzelhändlern verloren, wie eine von der EU finanzierte Untersuchung ergeben hat.
"Es braucht mehr Wertschätzung für Lebensmittel. Wenn ein Produkt nichts wert ist, wird es leichter weggeschmissen", sagt Kewin Comploi, Nachhaltigkeitsexperte der Umweltschutzorganisation Global 2000.
Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, die Menge genießbarer Lebensmittel, die im Abfall landet, bis 2020 zu halbieren, sagte EU-Umweltkommissar Janez Potocnik. Dafür müssten alle Akteure der Nahrungskette - vom Agrarbetrieb bis zum Endverbraucher - zusammenarbeiten. Als Hauptursachen sieht die Europäische Kommission neben fehlendem Bewusstsein der Konsumenten mangelnde Planungsmöglichkeit in Gaststätten, schlechtes Bestandsmanagement und Multipack-Aktionen im Einzelhandel, Überproduktion sowie Produkt- und Verpackungsschäden in der Produktion sowie unzulängliche Lagerung und Verpackung. Konkrete Maßnahmen will die Kommission in den kommenden Monaten vorlegen. Als Positivbeispiel wird der britische Einzelhändler Tesco genannt, der 2010 die Aktion "Buy One Get One Free Later" für frische Lebensmittel startete.
Schönheitsfehler bei Obst und Gemüse zulassen
In Österreich sollen Lebensmittelabfälle im Restmüll bis Ende 2016 um 20 Prozent verringert werden. Ein Puzzlestein der Initiative
"Lebensmittel sind kostbar" des Umweltministeriums ist die Internet-Plattform Myfoodsharing.at, über die überschüssige Lebensmittel kostenlos angeboten und gesucht werden. Das Angebot ist aber überschaubar: In Wien finden sich derzeit nur 10 Einträge.
Die oberösterreichische Handelsgruppe Pfeiffer spannt ab 2014 Omas ein, die unter dem Motto "Das ist doch noch gut" in Unimarkt-, Zielpunkt-, Nah&Frisch-Märkten und Schulen über den richtigen Umgang mit Lebensmitteln informieren. Bis Freitag haben sich bereits 70 Omas gemeldet, sagt Pfeiffer-Holding-Geschäftsführer Erich Schönleitner. "Außerdem machen wir keine Mehrpack-Aktionen für frische Produkte mehr, andere Artikel werden folgen." Seit zehn Jahren werden zudem Sozialmärkte mit Waren unterstützt.
Spielraum bestehe bei den Handelsketten, deren Anforderungen an die äußere Qualität von Obst und Gemüse oft übertrieben sind, sagt Comploi. "Auch die Politik kann durch Anpassung von Qualitätsnormen und allzu rigider Hygienevorschriften in der Gastronomie und Hotellerie zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung beitragen."
Zwar hat die EU etliche Vermarktungsnormen für Obst und Gemüse 2009 abgeschafft, für zehn Obst- und Gemüsesorten etwa Äpfel, Tomaten, Kiwis, Erdbeeren und Zitronen, gelten allerdings weiterhin Vermarktungsnormen. Zudem legen viele Handelsketten eigene Anforderungen an die Produktefest. Nach dem Vorbild des Schweizer Händlers Coop, der kleines oder unförmiges Gemüse und Obst in eigenen Regalen günstiger anbietet, verkauft Rewe seit Oktober Äpfel, Karotten und Erdäpfel der Klasse 2 unter der Marke "Wunderlinge" bei Billa, Merkur und Adeg in Österreich. "Das Angebot wechselt saisonal und wird sehr gut von den Kunden angenommen", sagt Rewe-Sprecherin Ines Schurin.
Haben Produkte das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten, dürfen sie nicht mehr verkauft werden. Um diese Menge möglichst gering zu halten, bietet etwa Spar Produkte kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums um 25 oder 50 Prozent günstiger an. Bei Schwarzbrot vom Vortag wird der Rabatt gerade getestet.
Auch die regionale Zusammenarbeit von Händlern mit Einrichtungen wie der Tafel oder Sozialmärkten ließe sich noch ausweiten, so Comploi. Spar kooperiert an 70 Prozent der Standorte mit solchen Einrichtungen, bis Jahresende sollen es 100 Prozent sein.
Beitrag zu weltweiter Ernährungssicherheit
"Lebensmittelverschwendung ist nicht nur aus ethischen Gründen ein Problem. Jedes Lebensmittel braucht in der Produktion Ressourcen wie Wasser und Dünger", sagt Comploi. "Besonders hoch ist die Ressourcenvergeudung bei tierischen Produkten, weil die eingesetzten Futtermittel viel Land beanspruchen und häufig mit der Abholzung von Regenwald einhergehen."
Die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung hätte nicht nur positive Effekte auf Natur und Gesellschaft. Sie würde laut der Organisation FAO auch den Druck vermindern, die Lebensmittelproduktion um 60 Prozent zu steigern, um die weltweite Nachfrage angesichts steigender Bevölkerungszahlen im Jahr 2050 bedienen zu können.
Tipps für Konsumenten
Rund um die Haltbarkeit
Der Aufdruck "mindestens haltbar bis" bedeutet, dass die Ware bis zu dem angegebenen Datum der erwarteten Qualität entspricht. Das Lebensmittel kann auch noch danach unbedenklich verzehrt werden, sofern die Aufbewahrungsvorschriften eingehalten wurden und die Verpackung nicht beschädigt ist; möglicherweise verliert es jedoch an Geschmack und verändert seine Textur. Es sollte daher vor dem Verzehr geprüft werden, ob die Verpackung unversehrt ist und ob das Lebensmittel einwandfrei aussieht und gut riecht.
Der Aufdruck "zu verbrauchen bis" erscheint auf leicht verderblicher Ware wie Frischfisch oder Faschiertem und bedeutet, dass die Ware bis zu dem angegebenen Datum verzehrt werden sollte. Konsumenten sollten keine Lebensmittel verwenden, bei denen das Datum hinter dem Aufdruck "zu verbrauchen bis" bereits überschritten wurde. Mit Tiefkühlung kann die Haltbarkeit verlängert werden. Außerdem sind Hinweise wie "im Kühlschrank aufzubewahren" zu befolgen.
Quelle: Europäische Kommission
Planen Sie Ihre Einkäufe mit einer Einkaufsliste. Lassen Sie sich nicht von Angeboten verführen und gehen Sie nicht mit leerem Magen einkaufen.
Prüfen Sie die Datumsangaben: Wenn Sie ein schnell aufzubrauchendes Lebensmittel nicht sofort verzehren möchten, wählen Sie beim Einkauf eines mit einem längeren Verbrauchsdatum oder kaufen Sie es erst, wenn Sie es brauchen.
Behalten Sie Ihr Budget im Blick: Lebensmittel verschwenden heißt Geld verschwenden.
Überprüfen Sie regelmäßig Ihren Kühlschrank: Achten Sie auf die Angaben auf dem Etikett und die Kühlschranktemperatur.
Halten Sie sich an Anweisungen zur Aufbewahrung.
Räumen Sie nach dem Kauf neuer Ware vorhandene Lebensmittel in Ihren Schränken und im Kühlschrank nach vorne.
Servieren Sie die Lebensmittel in kleinen Portionen mit der Option auf einen Nachschlag.
Verwerten Sie Essensreste.
Frieren Sie Lebensmittel ein.
Kompostieren Sie Lebensmittelabfälle.
Quelle: Europäische Kommission