Eine wirklich segensreiche Wirkung sagt man ja dem Fernsehen nicht gerade nach. Doch seit genau fünf Jahren läuft in Berlin eine Sendung, die den Gegenbeweis bereits erbracht hat.
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"Das war schon wie ein Fünfer im Lotto", sagt Bernd Oswald. Wie viele kleine Werkstatt- und Ladenbesitzer kämpfte er ums Überleben. Bis eines Tages die Kameras der regionalen Fernsehnachrichten bei ihm auftauchten. "Seitdem rennen mir die Leute die Bude ein", entsprudelts im Original-Berlinerisch dem Friedrichshainer Nähmaschinen-Doktor. Seit 30 Jahren repariert er unverdrossen und sorgfältig Nähmaschinen aller Art. Seit die "Abendschau" über seinen "Ossis Nähmaschinenladen" berichtet hat, kann er wieder besser schlafen. Der "Ossi" ist dank des Fernsehens in der Marktwirtschaft angekommen. Heute hat er Kunden aus Rügen, Thüringen, Hamburg und sogar Mallorca.
"Gleich nebenan" heißt die Serie, die der rbb (Rundfunk Berlin-Brandenburg) seit einem halben Jahrzehnt jeden Samstag im Rahmen seiner "Abendschau" ausstrahlt. Die Serie ist nicht nur bei den Geschäftsleuten sehr beliebt, die auf diese Weise zu ungeahnter und unbezahlbarer Gratiswerbung kommen, sondern mindestens ebenso bei den Konsumenten, die vor lauter Wald den Baum nicht mehr finden, die sich in Super- und Baumärkten im Stich gelassen fühlen.
Warum muss man eigentlich ein ganzes Sortiment Nägel kaufen, wenn man nur einen einzigen, bestimmten braucht - und ihn bei Ekkehard Geschke auch bekommt? Er hat das Geschäft, das alles für den Heimwerker bietet, von seinem Vater geerbt und führt nicht nur ein Sortiment, das man sonst kaum noch erhält, sondern bietet auch kompetente - und vor allem hektikfreie - Beratung.
Warum einen neuen Koffer kaufen, nur weil der alte bei der letzten Flugreise lieblos behandelt wurde, wenn man ihn "gleich nebenan" bei Jörg Gabriel reparieren lassen kann? Aufgeplatzte Nähte, kaputte Rollen, abgerissene Träger, Beulen im Alukoffer - für Gabriel kein Problem. Und für mich gespartes Geld.
Ob der gute alte Schuster, der auch "Lederkosmetik" anbietet, ob der Kurzwarenladen, Marke Omama, ob die Intensivstation für aufgeplatzte Teddybären - der kleine Einzelhändler, der Handwerker, der Sammler und der Reparateur gleich nebenan machen das Leben im Kiez, wie man das Grätzel hierzulande nennt, lebens- und liebenswert.
Und das Fernsehen hilft in diesem Falle tatsächlich, diese kleine, wohnortnahe und menschenfreundliche Wirtschaftsstruktur aufrechtzuerhalten. Der vertraute Ansprechpartner, die kompetente Auskunft, die für ausgestorben gehaltenen Dinge und die Freundlichkeit werden dabei von den Kunden am meisten geschätzt.
In dieser kieznahen, heimeligen Atmosphäre gedeiht so manche kuriose Geschäftsidee. Zum Beispiel der etwas andere Friseur in Berlin-Grunewald. Petra Lablack verpasst ihrer älteren Kundin einen flotten Haarschnitt. "Ich geh mit 70 rein und komm mit 50 wieder raus", meint die Glückliche. Aber auch der junge Herr ist zufrieden, hat er doch zusätzlich zur Business-Frisur eine Kopf- und Nackenmassage bekommen. Und dies alles im fernöstlichen Ambiente mit selbst importierten Originalen und Friseurstühlen von 1910.
Schaum vorm Mund könnte der hungrige Wanderer bekommen, falls er in der "Seifenconfiserie" landen und sich dort von den Leckereien zum Naschen verleiten lässt. Die Käseplatte mit Gorgonzola und Roquefort sind in Wahrheit selbstgekochte und gestaltete Seifen.
Kurzum: Das Gegenmodell zur gigantomanischen Kaufwelten-Unkultur hat überlebt und füllt nicht nur die materiellen Lücken aus, die unsere Wirtschaft oft klaffen lässt.
Markus Kauffmann, seit 1984 Wiener in Berlin, macht sich
Gedanken über Deutschland.